Riemenschneider
Börsen geöffnet und Pfennige aus der milden Hand in die bittende gegeben. Wohltaten heben das Herz. Von einer Frau zur nächsten lachten die Damen lauter, wurden ihre Gesten schwesterlicher.
Til war auf Hörweite hinter ihnen, wagte nicht weiterzugehen, denn nun gelangten sie zu Magdalena. Seine Gemahlin beugte sich über das Kind. »Was ist es?«
»Ein Bub.«
»Und der Name?«
»Florian.«
»Wie schön …« Sie hielt inne, zögerte und schüttelte dann über sich selbst den Kopf. Großzügig gab sie drei Pfennige und strich dem Kleinen übers Haar. »Deine Mutter soll gut für dich sorgen.«
Nachdem auch die Freundinnen ihr Almosen gespendet hatten, begaben sie sich auf den Rückweg. Verblüfft sah Anna ihren Gemahl entgegenkommen. »Du? Aber, Liebster, wo willst du hin?«
Til wollte einen Bogen schlagen, unterließ es, und während er an ihr vorbeiging, sagte er förmlich: »Auch ich möchte den Bedürftigen rasch eine kleine Gabe überreichen.« Ohne sich bei den anderen Kindbetterinnen aufzuhalten, strebte er direkt auf Magdalena zu.
Anna sah es mit offenem Mund, atmete rascher und begriff nicht. »Noch nie hat mein Riemenschneider … Ich verteile die milden Gaben, so war es immer.«
Da gab Hedwig Suppan einen keckernden Hohnlaut von sich und schob ihr Kinn der Freundin zu: »Das ist sie doch.«
»Wer?«
»Aber ich bitte dich, Liebste. Das ist die Magd, die dein Gatte beim Apotheker Wilser untergebracht hat.«
»Also doch.« Anna griff sich ans Herz. »Vorhin habe ich einen Moment lang daran gedacht. War mir aber nicht sicher.«
Unbekümmert nickte Margaretha Cronthal. »Wie sie so dasitzt mit dem Kind. Einfach gekleidet, aber sauber. Wirklich eine hübsche Person …«
»Untersteh dich, meine Teuere.« Aufsteigende Erregung ließ Anna erbeben, nur mit Mühe bewahrte sie Fassung. »Dieses Weib … Ich sollte mein Geld zurückverlangen.« Ein Blick hinüber zeigte ihr, dass nichts mehr aufzuhalten war. Sie warf den Kopf zurück. »Kommt, meine Lieben. Frische Luft wird uns guttun. In der Nähe dieses Bettelpacks riecht es doch sehr unangenehm.« Sie ergriff beide Freundinnen am Arm und zog sie mit sich.
Til stand da, sah auf Magdalena hinunter und sagte nichts. In ihrem Gesicht erwachte Freude, dann mischte sich Zweifel hinein, der Blick wurde unsicher. »Herr?«
»Darf ich fragen …«, er war bemüht, die Stimme zu dämpfen, sprach hastig: » … wer dich hierher geschickt hat? Hast du Hunger? Oder wohnst du etwa nicht mehr beim Apotheker?«
»Nur keine Furcht, Herr.« Verstohlen nickte Magdalena zur Eva am Portal hinüber. »Niemand erkennt mich. Und mit Florian erst recht nicht. Gefällt er Euch?« Sie hob das bis auf den Kopf ganz mit Binden umwickelte Wesen an.
»Natürlich, ein sehr schönes Kind. Soweit ich sehen kann. Bitte, antworte auf meine Fragen.«
»Ich tue nichts Unrechtes, Herr. Hier …« Sie zog an einer Halsschnur ihr metallenes Bettelabzeichen unter dem grünen Schal hervor. Es zeigte eine Mutter mit Kind und in der Umschrift waren das Jahr 1494 und das Wort »Brot« eingraviert. Sie versuchte zu lächeln. »Vom Oberen Rat genehmigt und ausgestellt. Noch eine Woche darf ich, dann muss ich es zurückgeben.«
Til verschränkte die Hände und löste sie wieder. »Bereitet es dir Vergnügen, hier zu … zu betteln?«
»Nein, Herr. Aber Frau Adelheid meinte, dass es nicht schaden könnte, wenn ich für das Kind noch ein Zubrot verdiene. Weil doch jetzt ein Esser mehr im Haus ist.« Magdalena lachte leise, beugte sich über ihr Kind und wiegte es im Arm. »Dabei bekommt Florian genug von mir. Ich glaub, meine Milch reicht noch lange.«
Diese Innigkeit. Ihre Geste, ihre Haltung. Aus dem Augenblick entstand ein Bild, mehr noch … Til ertappte sich, dass er erneut die Hände verschränkt hatte, beinah ärgerlich löste er sie. »Ich werde mit deiner Herrin ein ernstes Wort sprechen. Dass du hier sitzt, ist gegen die Abmachung. Wenn wegen deines Sohnes mehr Geld für Unterkunft und Essen nötig ist, als du mit Arbeit verdienen kannst, so hätte sie sich zunächst an mich wenden sollen. Schließlich ist dein Guthaben bei mir noch lange nicht aufgebraucht.«
»Seid nicht verärgert über die Herrin. Florian und ich haben es gut in der Dachkammer.« Magdalena hob nicht den Kopf, sah von unten zu ihm auf. »Verzeiht, ich habe Euch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Frau Adelheid hat nur davon gesprochen, dass arme Wöchnerinnen sich die Bettelerlaubnis beim Oberen Rat holen können und sich dann vor die
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