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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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armen.« Sebastian Wilser hob den Finger. »Uns Apothekern ist es verboten, selbst Hand anzulegen, nicht einmal einen Rat dürfen wir den Kranken geben. Leider.« Er trat näher an seinen Besucher heran. »Aber ich will dir ganz im Vertrauen zeigen, was im Ernstfall getan werden muss.«
Eine einladende Geste, und er führte Meister Til zum Arbeitstisch, schob Waage und Stößel beiseite, mit schnellem Griff in ein Glas stäubte er Kohlepulver auf die Platte und malte zwei große Kreise, aus denen Schläuche herausführten, sich hinunterschlängelten und im ausführlich gezeichneten Hodensack und Penis mündeten. »Was siehst du? Richtig, das sind die Nieren, die Harnleiter, und das da unten kennst du.« Er lachte. »Schließlich sind wir Männer.«
Til wollte ihn bitten, auf die weitere Unterweisung zu verzichten, kam jedoch nicht dazu, denn schon hatte Wilser mit gemalten Kringeln große Steine in den Kreisen angehäuft. »Die sind schon schmerzhaft genug, mein Freund. Bei Anfällen kannst du nicht liegen, nicht stehen, jede Bewegung verursacht furchtbares Stechen. Rutscht nun einer dieser Brocken in einen Harngang, rutscht tiefer bis vor den Penis«, er ballte die Faust, »vorbei. Die Leitung ist verstopft, und glaub mir, mit keinem Schlingdraht kannst du vorn vom Eingang her den Stein rausholen.«
Ehe Til sprach, musste er die trockene Unterlippe benetzen. »Ganz sicher nicht.«
»Aber …« Aus einem Schubfach zauberte Wilser ein blinkendes Skalpell. »Hier ein Schnitt«, er schlitzte die Zuleitung vor dem Übel ein Stück auf, »und du kannst den Stein sogar mit dem Finger herausklauben. Nun? Habe ich nicht recht? So kann unserem Fürsten geholfen werden. Aber ich bin kein zugelassener Arzt und Chirurg. Leider. Was sagst du?«
»Verzeih.« In seiner Einbildung vermeinte Til ein schmerzhaftes Ziehen zwischen den Beinen zu spüren. »Und die Wunde? Es muss doch viel Blut fließen. Dann noch Urin …«
»Zupressen und nähen. Und …« Die Sicherheit des Apothekers wankte. »Also … also ein Eingriff beinhaltet stets auch ein Risiko für den Patienten.« Das Skalpell verschwand, mit einem Wischer waren auch Nieren, Harnleiter und Penis vom Tisch. »Wie unhöflich von mir. Da erzähle ich und erzähle und habe ganz vergessen zu fragen, was dich herführt.«
Til lächelte befreit. »Für eine Marienstatue bin ich auf der Suche nach einem neuen Motiv, deshalb wollte ich die Magd mit ihrem Kind sehen. Ist das möglich?«
»Das fragst du? Verehrter Freund, keine Frage, schließlich zahlst du einen Teil des Kostgeldes. Wenn du oben in der guten Stube wartest? Ich gebe inzwischen meiner Gattin Bescheid.«
Stickig war die Luft, Sonnenlicht fiel gebrochen durchs bleigefasste Glas der Fenster und legte ein trübes Lichtmuster über den Holzboden. Kein Wort wurde gesprochen.
Seltsam versteift stand Magdalena nahe dem Tisch. Sie trug Florian auf dem rechten Arm, ihr Blick war starr zum Kruzifix an der Wand gerichtet. Vier Schritt entfernt saß der Bildschnitzer nach vorn gebeugt im Lehnstuhl, beide Arme auf die Knie gestützt. Aus halb geschlossenen Lidern betrachtete er Mutter und Kind.
Neben der hohen Truhe mit dem abgeblühten Strauß gelber Rosen verfolgte Frau Adelheid das Geschehen, sie wagte nicht, sich zu bewegen, kaum zu atmen. Meister Riemenschneider, der berühmte Bildschnitzer, war in ihr Haus gekommen, um Anregung für seine Werke zu finden, und nichts sollte ihn stören.
Die Stille nahm zu.
Da seufzte Florian, dann schrie er hell und fordernd, verkrallte die kleine Hand im Kittelkragen seiner Mutter. »Oje, verzeiht, Herr. Entschuldigt bitte.«
»Schon gut.« Til schüttelte den Kopf. »Es war ohnehin nicht das, was ich zu sehen erhoffte. Du stehst da, als hätte dich jemand verbogen.«
Empörung funkelte in ihren Augen. »Ihr habt mich so hingestellt, Herr.«
Sofort mahnte Frau Adelheid von der Truhe her: »Keine Widerworte! Bedenke, mit wem du sprichst.« Mit schnellen Fingern sammelte sie die abgefallenen Rosenblätter rund um die Vase auf.
»Aber es ist wahr«, schimpfte Magdalena in sich hinein, heftig schaukelte sie den Jungen, konnte ihn aber nicht beruhigen.
Kein Bild wollte mehr entstehen, jede Stimmung war zerstört. Einengender noch als zuvor empfand Til die stickige Luft; Frau Adelheids erwartungsvolle Blicke störten; das Schreien des Jungen lärmte in seinen Ohren, und dass Magdalena obendrein noch gekränkt schien, ärgerte ihn, weil er ihr vor der Hausfrau nichts erklären durfte. Im Gegenteil.

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