Riemenschneider
Anna, hab Dank. Und nichts und niemand wird mich von dem Gelübde abbringen.« Er sah den davonziehenden Wolkendämonen nach. »Nein, auch nicht der Vater.«
Martin sah sich um, sein Rucksack lag im Blatt- und Astgewirr der niedergestürzten Eiche. Ein Schauer befiel ihn. Nur um wenige Armeslängen hatte ihn der Baum verfehlt. Erneut stiegen die Tränen, doch nun, weil Erleichterung die Enge löste.
Mühsam erhob er sich. Heftiger Schmerz durchzuckte das rechte Bein. Kaum vermochte er mit den Fußspitzen aufzutreten. Im Fall musste er sich den Knöchel verstaucht haben. »Der Schmerz beweist mir, dass ich lebe. Warum also sollte ich klagen?«
Er raffte sein Bündel, noch ein Blick zur auseinandergerissenen Eiche, dann humpelte er weiter. Ehe die Nacht anbrach, musste er das Stadttor von Erfurt erreicht haben.
12
Ä chzend kam der Holzwagen im Innenhof zum Stillstand. Rupert sprang vom Bock und schob Bremskeile an die Räder, dann erst schloss er das hohe Tor. Ausgiebig kratzte sich der Knecht im schwarzen Haar, dehnte die Schultern und schlenkerte beide Arme. Früh war es. Als er vor gut einer Stunde angespannt hatte, war der Montagmorgen im Haus noch nicht erwacht, jetzt qualmte der Schornstein, in den Geruch nach Brand mischte sich bereits der Duft von Haferbrei, und aus dem Küchenfenster drangen die Stimmen der Mägde.
Rupert schirrte das Pferd aus. »Komm, mein Guter. Du hast für heute dein Futter verdient. Für uns aber geht’s gleich erst richtig los.« Während er den Wallach in den Stall führte, strich er Mähne und Kruppe mit weichem Druck.
Bei seiner Rückkehr stand Meister Til, nur mit dem langen Nachthemd bekleidet, neben der Ladefläche. »Was hab ich gesagt«, murmelte Rupert vor sich hin, seufzte leise und wünschte laut: »Einen schönen Morgen, Herr.«
»Wenigstens auf dich ist Verlass. Meine Herren Gesellen lassen sich Zeit. Nur wer früh aus den Federn ist, hat was vom Tag.«
Til befühlte die Schnittstelle des obersten der fünf Lindenstämme, roch an seinen Fingerkuppen, wollte sichergehen und drückte die Nase selbst ans Holz. Nachdem er so die ganze Ladung überprüft hatte, ließ er beide Hände mit liebevoller Hingabe über die Rinden streichen. »Kein Zweifel, es sind unsere Schönen. Frisches Holz ohne morsche Stellen. Genau die habe ich mir im Hafen ausgewählt. Keiner der Spitzbuben vom Holzmarkt hat sie übers Wochenende gegen minderwertige Stämme ausgetauscht.«
»Wusst ich schon.« Rupert zeigte sein breites Lächeln, nur die vorderen Zähne des Oberkiefers waren vorhanden, in den rechten Mundwinkel hinein klaffte eine dunkle Lücke. »Hab für mich am Freitag Zeichen gemacht, als Ihr dem Kapitän das Geld bezahlt habt«, er deutete auf die kleinen Kreuzschnitte, »damit ich die richtigen Stämme heute beim Verladen erkenne.«
Offen sah der Meister ihn an: »Ich bin sehr froh, dass du nun bei uns bist. Glaub nur, du bist mir eine große Stütze.«
»Nein, ich muss Euch danken, Herr.« Rupert rieb sich die Narbe am Hals. »Hab doch gar nicht gewusst, wohin ich sollte. Und wenn Ihr nicht gewesen wärt …«
»Schon gut«, unterbrach Til beinah schroff, um die Rührung nicht aufkommen zu lassen, und wies auf das hüfthohe Eisengestell neben dem Lagerschuppen. »Nachher trägst du mit den Gesellen einen Stamm nach dem andern rüber und schälst ihn ab. Aber Vorsicht, zieh das Messer gleichmäßig mit beiden Händen. Verletz mir das Holz nicht. Denk immer dran, dass in einem der Stämme die heilige Maria schläft und in den andern die Apostel oder der kleine Jesus oder die Engel und noch viele mehr. Sie alle werden später in der Herrgottskirche von Creglingen über dem Altar stehen. Also keine Scharten und tiefen Schnitte.«
Wieder befühlte Rupert die Narbe. »Sorgt Euch nicht, Herr. Von mir wird niemand verletzt.«
»Gut so. Und jetzt muss ich mich sputen.« Til wandte sich schon ab. »Was für ein Tag heute. Werkstatt, dann Rathaus und dann zusätzlich die Wache am Pleichacher Tor.« Er eilte zum Haus hinüber, der Saum des Nachthemdes spannte bei jedem Schritt.
Weil die kleineren Kinder noch fehlten, noch nicht ihre Plätze unter dem Wandkreuz erobert hatten, herrschte im Speiseraum friedvolle Ruhe. Still löffelten die Gesellen den Brei, kauten halb verschlafen am Brot, ab und zu fiel ein Wort, es vermochte aber kein Gespräch anzustoßen.
»Morgen.« Rupert setzte sich, nahm das Kopfnicken als Gegengruß und schob seinen Napf an die dampfende Schüssel.
Zwei lange Tische für
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