Riemenschneider
selbst überrascht, nickte Til. »Einen guten Schluck könnte ich auch gebrauchen.« Der Scherz gelang ihm nicht ganz. »Auch darin stimme ich dir gerne zu.«
Als Magdalena das Haus der Domherren verlassen hatte, war sie noch zur Marienkapelle hinübergeschlendert; ohne stehen zu bleiben, blickte sie zu ihr hinauf. »Oje, Eva, du bleibst immer so schön jung. Dein Po ist fest und erst der Busen! Ganz neidisch könnt’ ich werden, wenn ich morgens in den Spiegel schaue.« Magdalena grüßte mit einem Augenzwinkern. »Nichts für ungut. Bis zum nächsten Mal.«
Sie verließ den Judenplatz und eilte über den Fischmarkt, erreichte die Franziskanergasse, hatte gerade das erste Haus passiert, da glitt unmittelbar vor ihr eine Gestalt aus dem Torschatten. Magdalena schreckte zurück.
Bermeter. Ungeniert betastete sein Blick ihren Leib. »Freust du dich?« Er bog den Oberkörper zurück, dabei stellte er sich breitbeinig hin, drückte den Unterleib vor. »Sollen wir jetzt darüber reden?«
Sie hatte sich gefasst, wollte an ihm vorbei, doch er sprang ihr in den Weg und ließ das Becken leicht kreisen. »Nun sag wenigstens, dass du dich freust. Dann verschwinde ich.«
»Ehe ich mich über dich freue, sterbe ich lieber.«
»Du verstehst mich falsch.« Bermeter kicherte in sich hinein. »Ich mein, über deinen Bildschnitzer. Weil er heute Stadtrat geworden ist. Das ist doch wirklich ein Grund. Ja, ja, jetzt gehört er zu den Wichtigen in der Stadt. Jetzt kann er haben, was er will.« Ein schneller Griff in den Schritt, begleitet von einem brünstigen Stöhnen. »Auch dich, schöne Frau.«
»Du unverschämter … du widerlicher … lass mich in Ruhe mit deinem schmierigen Geschwätz. Geh in den Esel zu den Huren … Nein, auch die sind viel zu schade für so einen wie dich.« Magdalena stieß ihn gegen die Brust. »Aus dem Weg!« Und ging weiter.
»Schönen Tag noch, edle Frau«, säuselte der Spielmann ihr nach. »Bis bald. Bis bald.«
Ein angefaulter Apfel lag vor ihr auf dem Pflaster. Mit Wucht trat sie dagegen, das Geschoss prallte gegen die Hauswand gegenüber; keine Genugtuung, denn ein heftiger Schmerz durchzuckte ihren Zeh. Magdalena verzog das Gesicht. »Auch das noch. Verfluchter Kerl!«
11
F ür einen Mann gibt es nichts Schöneres auf Erden als Frauenliebe.« Trotz der Erschöpfung lächelte Martin Luther vor sich hin. Gleichmäßig schritt er aus, spürte die Füße kaum, ohne sein Zutun folgten sie dem Takt, den sein Körper vorschrieb, durch Wiesen und Laubwälder, an Kornfeldern entlang und über Holzstege, unter denen der Bach gurgelte. Stieg er einen Hügel hinauf, gab es oben für Momente freien Blick auf die weit entfernten Kirchtürme Erfurts, und von Anhöhe zu Anhöhe rückten sie näher.
Drei Tage Fußmarsch benötigte der Zweiundzwanzigjährige gewöhnlich vom Elternhaus in Mansfeld bis zu seinem Zimmer in der St. Georgsburse, dem Studentenwohnheim der Stadt. Letzte Nacht hatte Martin zum zweiten Mal in einer dürftigen Unterkunft übernachtet und war nach kurzem, traumlosem Schlaf gleich beim Morgengrauen aufgebrochen, um ein gutes Stück Weg noch in der Morgenkühle bewältigen zu können.
Gegen Mittag wurde die Hitze dieses zweiten Julitages zur Qual. Die Beine ermüdeten. Dann, in den frühen Nachmittagsstunden, waren Wolken von Westen heraufgezogen, graue, träge Schiffe, die ineinanderquollen, doch sie brachten keine Linderung.
Das Atmen wurde enger, dem Jurastudenten rann Schweiß übers Gesicht, den Hals hinunter und nässte den Wamskragen. Sein prall mit Wurst, Käse und Brot, mit Büchern, Wollstrümpfen und einer Nachtmütze vollgestopfter Ranzen lastete schwerer auf seinem Rücken, die Tragriemen schnitten an Schultern und Achseln. Noch drei lange Stunden bis zum Ziel.
»Für einen Mann gibt es nichts Schöneres als Frauenliebe.« Wie so oft, wenn Schwäche ihn zu übermannen drohte, stärkte sich Martin an diesem Satz, allerdings durfte, aus Furcht, das Mienenspiel könnte die Gedanken verraten, niemand in seiner Nähe sein.
Sie hatte den Satz gesagt. »Nein, nein. Das ist zu wenig«, ermahnte er sich. »Ihr Mund hat ihn mir mit weichen Lippen hergeschenkt.« Und während die Ebene sich weitete, der Weg wieder durch Felder führte, trank Martin die Erinnerung an Frau Ursula Cotta wie ein Elixier.
Es war in Eisenach. Damals musste sich der Vierzehnjährige als armer Schüler gemeinsam mit anderen hilfsbedürftigen Kameraden das Brot und die Schulkosten durch Singen an Haustüren und in
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