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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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anschmiegen.«
Die Stirn gerunzelt, betrachtete er eine Weile die Figuren des rechten Altarflügels. »Jeder ist am richtigen Platz«, murmelte er und maß die Abstände von beiden Randseiten zum auferstandenen Christus, die Spanne zu den Wächtern. »Auch die Anordnung ist so, wie ich es gewollt habe … Nein, das ist es.« Leichter Spott flackerte in seinen Mundwinkeln. »Wer von euch arbeitet an den beiden Figuren unterhalb des offenen Grabes?« Kaum war die Frage gestellt, stieg Röte ins Gesicht des jüngeren Gesellen.
»Also du.« Der Meister wies einladend auf den Boden. »Nun kauer dich so nieder wie dein Knecht hier unten auf der rechten Bildseite.«
»Ich versteh nicht, Herr.«
»Nimm die gleiche Körperstellung an.« Der Ton verschärfte sich. »Wird’s bald!«
Von den anderen Tischen näherten sich die Kollegen, reckten die Hälse und feixten.
Der schmal gebaute Bildschnitzer sank auf das linke Knie, stellte das rechte angewinkelte Bein vor sich hin und neigte den halb gestreckten rechten Arm außen an Ober- und Unterschenkel vorbei, dass seine Hand beinah den Fuß berührte. So verharrte er.
»Nein, Junge. Wie ich hier sehe, bist du noch nicht in der Stellung. Nur zu!«
Der Geselle drehte den Oberkörper nach links, hob auch den linken Arm über die Kappe und sah zum Meister hoch.
»Genügt mir nicht. Dein Knecht biegt viel mehr den Hals zurück, schraubt den Kopf fast über die linke Schulter.«
»Es … es geht nicht, Herr.«
»Versuch es!«
Der Befehl forderte Gehorsam. Nur ein Ansatz, und schon kippte der Geplagte über die rechte Seite um, lag in den Holzspänen. Das schadenfrohe Gelächter der Kollegen schnitt Til mit einem kurzen Wink ab. »Steh auf, Junge!«
Ruhig wartete er ab. »Eine Änderung der Haltung ist in diesem Stadium nicht mehr möglich. Die Dominikanerinnen müssen sich eben damit abfinden. Ohne Zweifel, Junge, du führst dein Messer gut. Aber das allein nutzt dir wenig. Nur wenn du dich selbst auch im Körper deiner Figuren bewegst, werden sie lebendig, sonst bleiben sie verrenkte Wichte mit Schlangengliedern.« Er sah in die Runde. »Das gilt für jeden von euch. Und jetzt zurück an die Arbeit!«
Noch an der Schwelle zum Steinsaal rief der Meister: »Tobias!«
Sein Altgeselle beendete erst die leichte, schnelle Schlagfolge mit dem Klüpfel, das Zahneisen kämmte eine Locke ins Fell des Lammes, das Johannes der Täufer auf dem Arm trug, dann erst ließ er das Werkzeug sinken und wandte sich um.
»Tobias, komm mit ins Bildlager. Ich hab etwas zu besprechen.« Auf dem Weg zur hinteren Kammer sah Til zur Seite, stockte, war in ungeahnt raschen Schritten bei der Werkbank, auf der sein Apostel Philippus ruhte, über den sich gerade einer der Lehrbuben beugte. »Wag es nicht!« Wie eine Pranke fuhr seine Rechte dem Jungen in den Nacken, hob ihn von den Füßen, schüttelte ihn. »Was tust du da?«
»Nicht! Bitte, bitte.«
»Sag es mir!«
»Ich soll glätten.«
Hart setzte Til das schmächtige Kerlchen ab, schlug ihm den faustgroßen Stein aus der Hand. »Hast du’s nicht bemerkt. Da sind scharfe Kanten dran. Wolltest du die schönen feisten Wangen unseres Philippus etwa zerkratzen.«
»Nein, Meister.«
Til schnappte nach dem Ohr. »Und wo ist das Wasser? Du warst wohl zu faul, dir eine Schüssel zu holen. Hab ich recht? Nur mit einem glatten, nassen Stein darf geschliffen werden. Merk dir das ein für alle Mal!«
Ohne den Griff zu lockern, zog ihn der Meister zu dem Gesellen, der für ihn verantwortlich war. »Wie kannst du den Kleinen allein arbeiten lassen?« Grimmig schüttelte Til den Kopf. »Nein, schweig! Ich will nicht mit dir streiten, wer in Wahrheit bestraft werden müsste.« Er übergab den Lehrbuben. »Lass diesen Unhold heute nicht aus den Augen. Zeig ihm, wie eine Steinfigur zu glätten ist.«
Til ließ die beiden stehen, mit den Händen kämmte er das Haar zurück und blies den Atem hörbar durch die Lippen. Wortlos folgte ihm Tobias zur Kammer. Hier lagerten in den oberen Regalen die Großzeichnungen zu den Altären und einzelnen Stein- und Holzfiguren, in den leichter zugänglichen unteren Fächern stapelten sich die Pausvorlagen für grobe Umrisse bis hin zu den verschiedenen Faltenwürfen und Mustern für die Verzierung der Kleidersäume.
»Tobias, so geht es nicht weiter. Als sie mich im letzen Jahr zum Stadtrat wählten, war mir klar, dass ich etwas meiner Arbeitszeit opfern müsste. Aber jetzt …« Til wölbte die Unterlippe vor und zurück. »Dieses Amt des

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