Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
die Männer mussten inzwischen nahe den Fenstern bei jeder Mahlzeit aufgebaut werden. Seit der Wahl des Meisters zum Stadtrat war die Zahl der Gesellen auf vierzehn angewachsen, überdies hatte Til an einem Mittag vor zwei Monaten den neuen Mann mit in die Essstube gebracht. »Das hier ist Rupert. Rupert Heistkamp aus Estenfeld. Ich will es mit ihm als Hausknecht versuchen. Wenn er sich gut anstellt, soll er bleiben.« Der Meister sah von einem Gesicht zum anderen. »Helft, dass er sich einfindet, gebt ihm Platz hier am Tisch und auch oben in der Schlafkammer.« Er schob den kräftig gebauten Mann an der Schulter in Richtung der Fenster. »Gottes Segen für dich.«
Rupert sah kaum auf, er grüßte mit verhaltener Stimme in die Runde, bereitwillig waren zwei Gesellen enger auf der Bank zusammengerückt und hatten ihn neben sich eingeladen.
Seitdem wohnte er mit allen oben unterm Dach des Wolfmannsziechleins. Ein unauffälliger, fleißiger Arbeiter. Von seinem Leben in Estenfeld erzählte er wenig. »Ich hab’s dort nicht mehr ertragen.« Damit mussten sich die Neugierigen begnügen. Er war freundlich zu jedermann, nie lachte er laut, wohl aber konnte er lächeln, besonders wenn die kleinen Rotschöpfe des Meisters um ihn herum waren; und kaum hatten Jörg, Hans und Barthel die große Zahnlücke zum ersten Mal bemerkt, versuchten sie immer wieder, sein Lächeln mit Ulk oder den sonderbarsten Grimassen hervorzulocken.
Gleich nach dem Frühmahl wurde ihm der erste Lindenstamm aufs Gestell gelegt. Rupert stieg hinauf, stellte sich breitbeinig darüber und zog mit dem Schäleisen eine Rindenschlange nach der anderen vom Holz.
»Guten Morgen.«
Beim Klang der Stimme fuhr der Knecht zusammen, mitten im Zug stockte die Klinge. Rupert wandte den Kopf. »Gut …« Er schluckte. »Ja, gut ist er. Ich mein, wenn du es sagst.«
»Warm wird es heute.« Magdalena zwinkerte vergnügt zu ihm auf. »Dabei haben wir schon Ende Oktober.«
»Ja, warm.« Wie angewurzelt bewegte Rupert weder Arme noch den Rücken. Halb im Scherz fuhr sie ihn an: »Heute bist du aber besonders gesprächig.«
Er richtete sich auf, wischte die Hände gründlich am Kittel ab, öffnete leicht den Mund, sah aber nur aus großen dunkelbraunen Augen zu ihr hinunter.
»Na, sehr schön.« Magdalena seufzte übertrieben.
»Nicht böse sein. Bitte.«
»Warum sollte ich? Nein, halt …« Sie stemmte beide Hände in die Hüften. »Natürlich bin ich wütend, weil du nicht mit mir reden willst.«
Rupert senkte den Blick. »Das ist nicht so leicht. Ich mein, das mit dem Reden mit dir.«
Seine Verlegenheit schürte unvermittelt die Lust, ihn ein wenig weiter in die Enge zu treiben. »Wer’s glaubt. Nein, nein, ich bin freundlich zu dir und du? Maulfaul nennt man so was.«
»Verärgern will ich dich nicht. Bestimmt nicht …«
»So kommen wir nicht weiter.« Magdalena winkte ab. »Ich muss zur Herrin. Eh du mir was erzählt hast, tanzen die Kinder im Haus über Tisch und Bänke.« Sprach’s und ging über den Hof davon. Erst nach einigen Schritten heiterte sich ihre Miene auf. Längst wusste sie, warum er manchmal stotterte, kaum einen vollständigen Satz hervorbrachte, wenn sie in seine Nähe kam. So was tut auch mal gut, dachte sie, ich wünscht zwar, es wär ein anderer. Aber wenn der Rupert so guckt, ist es auch ganz schön.«
Nicht in der groben Arbeitskleidung, schon angetan mit dem samtenen Wams, darüber die Schaube mit dem bis über die Schulter reichenden Kragen, ging der Meister im Schnitzraum von Bank zu Bank, nahm erst die Zeichnungen zum Flügelalter für die Kirche der Dominikanerinnen in Rothenburg zur Hand, prüfte dann den Fortschritt der Arbeiten an der Kreuzigungsszene.
»Achtet mir auf die Brustfalten des Kaiphas. Wenn der Hohepriester die linke Hand ins Gewand steckt, dann will ich den Druck an den Falten sehen.« Er deutete auf die von ihm gefertigte Vorlage und reichte dem Gesellen das Blatt zurück. »Dass mir keiner ans Gesicht des Heilands geht. An kein Gesicht im Mittelschrein. Die arbeite ich selbst, sobald ich Zeit habe.«
Einen Werktisch weiter arbeiteten gleich drei am Ölbergbild des linken Altarflügels. »Die Hände. Nur Klötze mit dürren Stöcken. Ohne jeden Ausdruck. Hier seht genau hin!« Er tippte auf seine Ganzzeichnung. »Im Schlaf legt jeder Jünger sein Gesicht weich in die Hand. Weich, sage ich.« Jetzt verdeutlichte er es an dem originalgroßen Ausschnittsblatt. »Also müssen die Finger sich etwas nach innen biegen, sich

Weitere Kostenlose Bücher