Riemenschneider
städtischen Baumeisters frisst mich bald ganz. Das bedeutet, wenn wir alle unsere Termine einhalten wollen, müssen wir die Werkstatt noch besser organisieren.«
Tobias kratzte sich nachdenklich den klebrigen Staub vom Kinn. »Wir haben keine Faulenzer. Alle arbeiten von früh bis es dunkel wird. Mehr als arbeiten können wir nicht.«
»Ich versuche es dir zu erklären. Warte.« Til entrollte die Ganzzeichnung des Retabels für die Kirche der Dominikanerinnen und legte sie auf den Boden. Jetzt nahm er die beigefügte Einzelvorlage zur Gruppe der trauernden Frauen und zeigte sie seinem Altgesellen. »Die gleichen Figuren, auch in der Körperhaltung, wie schon im Altarbild für die Franziskanerkirche in Rothenburg. Und das war mein erster großer Flügelaltar.« Zum Beweis entrollte er auch diese Zeichnung und prüfte das Datum. »Vor beinah zwanzig Jahren hab ich diesen Entwurf angefertigt. Sieh genau hin! Es sind die gleichen Figuren, nur habe ich sie für die Dominikanerinnen etwas anders zusammengestellt. Und für Creglingen werde ich ähnlich vorgehen. Verstehst du?«
Tobias schüttelte den Kopf. »Gemerkt hab ich’s schon, dass unsere Söldner am Kreuz, auch der Hohepriester und auch die Heiligen sich immer wieder ähneln, selbst der kleine oder der große Jesus. Aber ich versteh nicht, was wir jetzt verbessern sollen?«
»Eines hast du wenigstens schon begriffen. Ja, unsere Figuren müssen sich gleichen.« Und ohne großes Aufheben, beinah leicht setzte Til hinzu: »Weil sich so das heilige Licht von einer Maria auch in der nächsten entzündet oder die Kraft von einem Christus auch im nächsten wieder entsteht. Daran glaube ich und werde immer daran festhalten.« Jetzt erst hob er die Stimme: »Außerdem aber müssen sich all die Apostel oder Engel auch noch ähnlich sein, weil jeder Kunde oder Betrachter sofort erkennen soll, dass sie aus meiner Werkstatt stammen. Meine Handschrift tragen.«
Der Altgeselle grinste. »Und wir alle sollen schreiben wie Ihr?«
»Wer etwas anders schnitzt oder aus dem Stein schlägt …« Til zahlte ihm das Grinsen mit einem sanften Schmunzeln zurück. » … der wird morgen ausgelohnt und darf sich eine andere Werkstatt suchen. Du kennst mich gut genug. Jetzt aber zur Neuerung: Ich möchte, dass du unsere Leute nach ihren besonderen Fähigkeiten einteilst. Also: Wer schlägt die beste Grobform aus dem Stein? Wer schnitzt die schönsten Faltenwürfe und so fort. In Zukunft werden wir die einzelnen Aufträge nicht mehr im Ganzen einem der Gesellen übertragen, sondern ihm wird von unseren Spezialisten bei den immer wiederkehrenden Details geholfen.« Til ordnete bereits die Zeichnungen zurück. »Damit könnten wir mehr schaffen, und die Qualität leidet dennoch nicht.«
Tobias nickte, schüttelte dann aber gleich den Kopf. »Soll das heißen, Ihr selbst wollt gar nichts mehr tun?«
»Höre ich da etwa einen Vorwurf? Wer entwirft? Wer verhandelt mit den Auftraggebern?« »Verzeiht, Meister.«
Doch Til fühlte sich angegriffen. »Auch wenn ich noch so viel im Stadtrat zu tun hätte, glaub mir, auch in Zukunft verlässt kein Stück die Werkstatt, das ich nicht abgesegnet habe. Außerdem gehören mir die Gesichter und die Hände, und ich werde, sooft es notwendig sein wird, die Hauptfiguren selbst ausarbeiten.«
»Ich wollte wirklich nicht …«
»Weißt du, was es heißt, ein solch großes Haus, solch eine Werkstatt zu führen?« Die Zornader schwoll auf der Stirn. »Nein, darüber macht sich keiner von euch Gedanken. Warum auch?« Til schlug mit der Faust gegen die Wand. Verharrte so, erst nach einigen Atemzügen öffnete sich die Hand, glättete sich wieder der Rücken. »Wir benötigen uns gegenseitig, das weißt du ebenso wie ich.« Til wandte sich um, er versuchte zu scherzen: »Und jetzt muss ich zur Ratssitzung. Also wieder kein Stechbeitel oder Scharriereisen für den Meister.« Die Heiterkeit misslang. »Und später dann die Wache am Pleichacher Tor. Weil heute auch noch König Maximilian mit großem Gefolge unser Würzburg beehrt und ich ihn begrüßen soll.«
»Der König?«, staunte Tobias. »Da wär ich gern dabei.«
»Untersteh dich.« Endlich wieder leicht in der Stimme, drohte ihm Til mit erhobenem Finger. »Einer von uns beiden muss doch in der Werkstatt bleiben.« Meister und Altgeselle lachten leise.
Draußen im Hof wartete Gertrud. »Vater?« Und weil er nicht stehen blieb, beeilte sich die Siebzehnjährige, mit ihm Schritt zu halten. »Bitte, Vater. Ich muss
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