Riesling zum Abschied
...
Johanna überlegte, wie sie die Frau dazu bringen konnte, mehr über die Vormieter zu erzählen. Die Koinzidenz, wie sie es nannte, das Zusammentreffen von Alexandras Tod und dem Auszug der Vormieter lag auf der Hand. Der Rufton ihres Telefons gab ihr einen Grund, sich außer Hörweite zu begeben.
Sie informierte Thomas kurz über das Gespräch mit dem Dekan und ihren Aufenthaltsort. Er versprach, sobald er an der FH fertig sei, sich mit ihr in der Gaststätte von Laquai zu treffen.
»Achten Sie darauf, dass Ihnen niemand folgt! Fahren Sie so lange durch die Gegend, bis Sie einen möglichen Verfolger abgeschüttelt haben.«
»Weshalb, zum Teufel ...«
»Sie werden beobachtet. Sollten Sie die Vorsicht für überflüssig halten, dann tun Sie zumindest mir den Gefallen. Man dichtet uns eine Affäre an. Alles andere später.«
Bevor er weitere Fragen stellen konnte, beendete Johanna das Gespräch. Vor achtzehn Uhr würde er nicht hier sein. Sie hatte also genügend Zeit, sich ausführlich mit dem hiesigen Wein zu beschäftigen, ohne dass ihr jemand dazwischenfunkte. Die Nachbarin wartete, um weitere Einzelheiten loszuwerden, und es war ihr ein Vergnügen, wie sie sagte, Johanna die Adresse des Vermieters aufzuschreiben.
»Sie würden gut hierher passen, besser als die Leute, die vorher hier wohnten. Die kamen spät und verschwanden früh.«
|255| Ohne Boden gibt es keinen Weinberg. Diese Binsenweisheit verbreiteten die Bodenkundler, denen sie in Geisenheim zugehört hatte. Mittlerweile besuchte sie Veranstaltungen von Kollegen, um ihren Horizont zu erweitern und das, was sie vermitteln wollte, in den richtigen Rahmen zu stellen. Der Boden, seine Art, seine Struktur und Beschaffenheit waren für den Wein ausschlaggebend, auf dieser Grundlage baute alles auf. Der Boden gab dem Weinstock Halt, seine Textur entschied über die Durchlässigkeit und Rückhaltefähigkeit für Wasser und Sauerstoff. Von der Farbe und der Größe der Gesteinspartikel hing die Fähigkeit ab, Wärme zu speichern und so das Wachstum zu unterstützen. Seine chemische Zusammensetzung machte ihn für die eine Rebsorte mehr, für die andere weniger geeignet. Hier ging es ausschließlich um Weißen Riesling, und der gedieh im Flachen wie am Steilhang in unterschiedlichster Ausprägung. Sein hoher Gehalt an Monoterpenen, den aromatischen Geschmacksstoffen, der zehnmal mehr betrug als beim mitteleuropäischen Welsch Riesling, machte ihn derart vielfältig. Wie er sich auf den felsigen Hängen oberhalb von Lorch entwickelte, oder was ein Winzer dort herausholte, hoffte sie heute zu erfahren.
Sie hatte längst bemerkt, dass einige Steillagen wiederbelebt wurden, ein arbeitsaufwendiger und teurer Prozess. Hier folgten die Reben der Höhenlinie, während sie sich an weniger steilen Lagen den Hang hinunterzogen. Nur wer an exzellenten Weinen interessiert war, stellte sich der Aufgabe, Steillagen zu bewirtschaften oder sie zu rekultivieren. Die nackten Hänge waren vor Kurzem erst rigolt worden, ein Verfahren, bei dem tiefes Pflügen das tief liegende Material mit dem der Oberfläche vermischte. Erst unterhalb des sogenannten Rigolhorizontes lag das kaum verwitterte Ausgangsgestein, hier der Taunusquarzit und etwas Schiefer.
Die Reblagen direkt am Rhein waren ideal. Der nach |256| innen gewölbte Steilhang wirkte als Hohlspiegel, in dem sich Wärme und Licht fingen, und der Rhein sorgte als Wärmespeicher für eine lange Reifezeit. Aber die Herbstnebel mussten bis um elf Uhr verschwinden, danach brauchten die Trauben Wärme statt Feuchtigkeit, andernfalls faulten sie. Dafür waren besonders die groß- und dichtbeerigen Sorten anfällig. Was ist der Weinbau nur für ein kompliziertes Geschäft, dachte Johanna, aber alles, wovon man nichts versteht, erscheint kompliziert.
Sie schlug einen schmalen Weg ein, der sie schnell aus dem Ort führte und den Hang hinauf brachte. Es war ein warmer Tag, fast zu warm für diesen Ausflug, sie kam rasch ins Schwitzen, aber sie genoss die Aussicht, sie freute sich auf die Weinprobe und auf das Wochenende, denn Carl hatte sich wieder angekündigt. Dann schaute sie zwei Männern zu, die am Hang einen Zaun oberhalb der kürzlich gepflanzten Rebstöcke zogen. Es stand immer eine Reihe auf einem etwa einen Meter breiten Absatz aus grauem Geröll, alle Setzlinge waren an Stöcken befestigt und durch Kunststoffhüllen gegen Verbiss durch Tiere geschützt.
»Der Zaun hält die Wildschweine nicht ab«, meinte
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