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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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Wagen bekam einen Rechtsdrall, Johanna sah das Wasser auf sich zukommen, sah die winzigen Wellen, die weit entfernte Mole, die den Hafen begrenzte, und auf den Wellen tanzende Lichter. Alles erschien riesenhaft, wurde immer größer und unwirklich. Ihr Wagen stellte sich quer, der Transporter drückte jetzt von der Seite, gleich würde ihr Peugeot umkippen und sich auf die Fahrertür legen, sie würde sie nicht mehr öffnen können und eingeschlossen sein. Aber die Fenster waren offen. Die andere Tür hatte sich verklemmt, eine Scheibe barst im Inneren der anderen Tür mit lautem Knall, alles ging rasend schnell, nur für sie geschah alles wie in Zeitlupe.
    Wie gut, sagte sie sich, jetzt ohne jedes Gefühl von Panik, dass ich mich nicht vor dem Wasser fürchte. Es hat mir nie Angst gemacht, weder bei Flaute noch bei Sturm auf dem Surfbrett, das Wasser wird mich retten, es ist mein Element. Johanna wartete sogar darauf, endlich ganz ins Wasser geschoben zu werden, aus dem Auto könnte sie sich in jedem Fall befreien. Wenn nur der Motor hinter ihr nicht so entsetzlich jaulen und das Blech nicht so fürchterlich knirschen würde, das machte sie wahnsinnig.
    Jetzt brach ein trüber Schwall zum Fenster herein. Das Wasser kam schnell von unten auf sie zu, der Auftrieb hob sie, dadurch ließ sich der Gurt lösen, sie wurde weiter nach oben gedrückt, sah durch die Windschutzscheibe das Wasser |337| steigen, als würde sie die Anzeige einer Wassersäule beobachten, und dicke Luftblasen quollen unter der Motorhaube hervor. Der Auftrieb brachte sie mit dem Kopf zum Fenster der Beifahrertür, als auch dort das Wasser hereinbrach, aber sie schwamm, sie war frei, unter ihr wurde der Wagen weiter ins Hafenbecken geschoben, hinter ihr war der Lieferwagen, dessen Motor plötzlich erstarb – und dann war Stille – bis auf ein leises Plätschern.
    War es anders, als wenn sie mit dem Surfbrett gekentert und unters Segel gekommen war? Nein. Die Aufregung wich, da hatte sich jemand was Falsches ausgedacht, es war nicht das Ende.
    Prustend tauchte sie auf und wischte sich das Wasser aus den Augen. Sie spürte die leichte Strömung, so leicht, dass sie nicht abgetrieben werden konnte. Ihr Auto war untergegangen, der Lieferwagen war die Rampe abwärts geradeaus weitergefahren und dampfend stehen geblieben. Drei Schwimmstöße brachten Johanna an die Rampe. Leute, die sich wie Scherenschnitte am Ufer bewegten, kamen gelaufen, einer trug einen Rettungsring, verwirrt, ratlos, man streckte ihr die Hände entgegen, aber Johanna wollte sich um den Fahrer des Lieferwagens kümmern. Sie hangelte sich am Fahrzeug entlang, doch die Kabine war leer.
    Das, was sie geahnt hatte, wurde Gewissheit – es war ein Anschlag auf sie gewesen, und wahrscheinlich fasste nur sie das so auf. Für die Schaulustigen am Ufer war es ein Unfall. Johanna hangelte sich am Wagen zurück, vorbei an den Buchstaben
     
    Farben   – Schmidt – Lacke
     
    mit einem Farbeimer darunter, der Deckel war daneben abgestellt, wie sie erstaunt bemerkte. Sie hatte Grund unter den Füßen und kroch über glitschige Steine ins Trockene.
    Jemand legte ihr eine Decke um, man fragte, wie es ihr |338| gehe, sie schaute nach ihrem Wagen, aber da stand nur der Sprinter mit dem Stern. Es war dunkel geworden, die Sonne war längst untergegangen, dort wo der Rhein herkam, warme Rottöne zogen sich in Schlieren über den Himmel. Die Fähre vom anderen Ufer war herangekommen, der Suchscheinwerfer erfasste sie, riss sie wie einen Bühnenstar aus dem dunklen Hintergrund. Als sie begriff, dass jemand sie hatte töten wollen, jemand, den sie nicht kannte, begann sie zu zittern, sie fror jämmerlich und wollte jetzt lieber allein sein. Fremde redeten auf sie ein, zogen sie und schoben sie herum. Alle diese Leute um sie herum, die wirklich besorgt waren, die so taten oder einfach nur neugierig waren, wünschte sie zum Teufel.

|339| 19
    Thomas fuhr am Montag so rechtzeitig los, dass er zur ersten Vorlesung um vierzehn Uhr in Geisenheim zurück sein würde. Sein Vater wollte erst am Abend nachkommen und in der WG übernachten, denn der Betriebsleiterlehrgang sollte am Dienstag um acht Uhr beginnen. Das Wochenende war erholsam gewesen, so wie die Arbeit im Weinberg. Beim Ausbrechen überflüssiger Triebe und Einflechten der gewünschten, eine monotone Arbeit, war Thomas zur Ruhe gekommen, und an den Abenden hatten er und sein Vater lange geredet. Philipp war auf die Idee gekommen, Pascal Bellier um

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