Riesling zum Abschied
Hilfe zu bitten, den jungen Kriminalbeamten, den sie aus Metz kannten. Über die Kontakte des Kölner Staatsanwalts hatten sie erfahren, dass Thomas’ Verfolger bei einer Mainzer Detektei angestellt war, was Sechser bereits wusste. Den Kommissar hatte es geärgert, dass Thomas auf gleichem, wenn nicht sogar auf einem fortgeschrittenerem Erkenntnisstand war und vor ihm den Staatsanwalt informiert hatte.
»Wie sind Sie an die Information gekommen?«, hatte Sechser gefragt, ohne seinen Unwillen zu verstecken.
»Durch Wikileaks.« Das Sticheln konnte Thomas sich nicht verbeißen, dann hatte er aufgelegt. Mit Sechser würde er sich nie verstehen.
Da war Pascal Bellier von anderem Kaliber, noch dazu war er ein Freund. Pascal hatte Thomas’ Hilferuf verstanden |340| und keinen Moment gezögert. Er kannte das Weingut in der Pfalz, er war bereits zweimal dort gewesen. Er war der einzige Polizist, dem Thomas wirklich vertraute, hinzu kam, dass er sich als Franzose wenig an deutsche Gesetze gebunden fühlte.
Pascal verstand sich nach den beiden Anschlägen in der Champagne damals als Thomas’ Leibwächter, gleichzeitig brachte er die nötige Umsicht eines einsatzfreudigen Kriminalbeamten mit. Mut und Ehrgeiz hatte ihm bereits zwei Auszeichnungen und Beförderungen eingebracht, aber auch zwei Versetzungen, die letzte nach Metz – weg von den Vorgesetzten, denen sein Begriff von Gerechtigkeit und seine Selbstständigkeit zu unbequem waren.
Thomas hatte ihn nach seiner Ankunft ins Bild gesetzt, und nachdem auch sein Vater in Geisenheim eingetroffen war, hatten sie nach dem Abendessen mit Regine, der Pascal schöne Augen gemacht hatte, was ihr keineswegs missfiel, Kriegsrat gehalten.
Was ihm selbst zugestoßen war, beunruhigte Thomas weniger als der Mordversuch an Johanna. Beide Angriffe zusammen hatten eine neue Qualität erreicht. Sie hatte Thomas nach dem unfreiwilligen Bad im Rhein von einem geliehenen Mobiltelefon aus angerufen, denn er hatte am jenseitigen Rheinufer gewartet, von den Blaulichtern von Polizei, Feuerwehr und Rettungswagen nervös gemacht und davon, Johanna auf ihrem Telefon nicht erreichen zu können.
Thomas hatte in der Nacht noch aus seiner Werkzeugkiste den Metallkleber geholt, eine Büroklammer eingesteckt sowie die Gummihandschuhe, hatte sich seine Kapuzenjacke übergezogen und war nach Lorch gefahren. Der Metallkleber, aus zwei Komponenten bestehend, wirkte innerhalb von einer Minute, wenn man die Komponenten vermischte und mit einem Stück Büroklammer in den Zylinder des Schlosses steckte. Diese Tür müsste aufgebrochen werden. So war am Montag der Maler unverrichteter Dinge |341| wieder abgefahren. Vielleicht erreichten sie so einen Aufschub, bis Sechser endlich seinen Hintern hochkriegen und die Spurensicherung losschicken würde. Dass der Kommissar bewusst die Ermittlungen verschleppte, womöglich auf Anweisung, konnte Thomas sich nicht vorstellen. Das kam nur bei politischen Fällen infrage oder bei Korruption auf höchster Ebene.
Wie Touristen, die Hände in den Hosentaschen, schlenderten Thomas und Pascal durch das alte Eltville. Sie hatten noch Zeit bis zum Treffen mit Waller. Thomas war am Weinprobierstand am Rheinufer mit ihm verabredet. Er wusste wenig über die knapp eintausend Jahre alte Stadt. Die Fachwerkhäuser gehörten für die Bewohner zum Alltag, und sie hatten nicht das Gefühl, in einer Ferienkulisse zu leben. Die Kurfürstliche Burg und die Pfarrkirche, die bei der Orientierung halfen, hatte er nicht besichtigt. Genauso verhielt es sich mit der Burg Crass und der berühmten Villa G. H. von Mumm, die nicht zur Besichtigung stand. Das imposante Biedermeiergebäude am Rheinufer diente angeblich Thomas Mann als Vorbild für das Geburtshaus seines Hochstaplers Felix Krull. Thomas überlegte, ob sie nach dem Treffen mit Waller bei Koegler essen sollten. Sein Restaurant im Hof Bechtermünz war sicher für Pascal interessant; hier war 1467 unter Johannes Gutenberg der »Vocabularius Ex Quo«, das älteste Wörterbuch der Welt, von den Gebrüdern Bechtermünz gedruckt worden. Thomas hatte es besonders Koeglers Spätburgunder angetan. Und sein Vater, mit dem er hier gewesen war, hatte ihn mit Weinen aus dem Burgund verglichen.
»Mir würde es reichen, so etwas wie diesen zu schaffen«, hatte Thomas gesagt, dem die Dichte, die Ausgewogenheit und die Geschliffenheit des Weins besonders gefallen hatten. »Dazu brauchen wir die entsprechenden Trauben, die haben wir längst
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