Riesling zum Abschied
läuft, wirst du bekommen, Mitschriften und Skripte, alles wird kontrolliert, damit wir nichts reinschmuggeln. Dann hast du keine Zeit mehr für den Tiger. Nicht dass du mit dem Weben anfängst.« An Manuels verständnislosem Blick bemerkte Thomas, dass er es erklären musste. »Weben nennt man das Pendeln der Pferde vor dem Käfiggitter.«
»Seit wann verstehst du was von Pferden?«
»Seit ich in Alexandras Reitstall davon gehört habe.«
Manuel stöhnte. »Woher weißt du das denn schon wieder?«
»Es gibt ein Foto.«
»Aber das ... du warst doch nicht etwa ...?«
»Sei still ...!« Thomas senkte die Augenlider. »Wer ist der Mann neben ihr? Hat sie was dazu gesagt?«
Manuel schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Du hast nie gesagt, dass sie sich für Chemie interessierte und was davon verstand. Warum nicht?«
»Ich habe mich geschämt.«
|193| Thomas starrte ihn fassungslos an. »Wieso das denn?«
Manuel wand sich, die Antwort bereitete ihm Unbehagen. »Weil wir Ökologie betreiben, weil wir verantwortungsbewusst arbeiten. Dabei wusste ich, dass es mit ihr nicht klappen wird, weil ich wusste, dass sie mich ausnutzt, weil ich wusste, dass sie hinter meinem Rücken über mich redet, weil ich wusste, dass sie auf Geld scharf ist, und ... und ... und das mit ihrem Interesse an Pestiziden und Gentechnik und an den Forschungsprojekten der FH konnte ich euch nicht sagen, dann hätte mich kein Mensch mehr ernst genommen.«
»Trotzdem hast du ... mit ihr ...« – rumgemacht, wollte Thomas sagen, aber es klang zu verächtlich. Er entschied sich für: »... eine Beziehung angefangen?«
»Das spielt keine Rolle mehr.« Manuel starrte vor sich hin und kaute an seinen Fingernägeln.
»Und ob. Sag mir alles, was du weißt, woran du dich erinnerst, die kleinste Kleinigkeit, an irgendeine Redensart, an die Leute, mit denen ihr unterwegs wart. Schreib es auf und gib es dem Anwalt, er kann es mir faxen.«
»Was soll das bringen?«
»Es hilft uns, den Täter zu finden, du Knallkopf!«
»Den findet ihr nie, das ist zu gut eingefädelt. Das mit den Unterlagen, die sie bei mir im Schreibtisch gefunden haben, das fehlende Alibi, der Streit, überall Spuren von mir, der Wein in unserem Kühlschrank, den soll ich mit ihr vor dem Mord getrunken haben. Sie fanden Reste davon bei der Autopsie im Magen. Stell dir vor, sie haben sie zerschnitten. Und ich Dummkopf habe sie auch noch auf die Idee gebracht, womit sie erschlagen wurde ...«
»Wie kann man nur so blöd sein!«
»Ich wollte nur helfen ... wie sollte ich ahnen ...«
Der Schließer stand plötzlich hinter Manuel. »Soweit ich weiß, sind Sie Zeuge. Sollten Sie sich weiter zur Sache unterhalten, breche ich den Besuch ab!«
|194| Manuel biss sich auf die Lippen. »Siehst du? Es hat keinen Zweck.«
»Den hat es doch, wenn du deinen verdammten Arsch hoch kriegst! Du verhältst dich, als gäbe es für dich keine Zukunft.«
»Und die Umstände, mein ganzer Hintergrund?«
»Der ist immer da, den hat jeder. Am schlimmsten ist dein Jammerton. Du bist nicht tot, und die Freiheit kriegst du nicht geschenkt, weder draußen noch hier drinnen. Wenn du nicht an dich glaubst, wie sollen wir das tun? Es kommt auf dich an, ob du noch einmal durch die Rebzeile gehst, ob du die Blätter zum dritten Mal umdrehst und mit der Lupe schaust, ob Spinnmilben da sind, ob du dich trotz Rückenschmerzen wieder bückst und noch eine Bodenprobe nimmst. Du machst nur einen großen Wein, wenn du es dir wirklich vornimmst. Sonst erreichst du gar nichts.«
Thomas sah das Flackern in Manuels Augen, und er schöpfte Hoffnung, vielleicht konnte er Manuel aufrichten. Aber so schnell waren Selbstmitleid und Hoffnungslosigkeit nicht zu besiegen.
»Ich habe im Knast nicht die geringste Chance.«
»Wenn du das glaubst, mein lieber Manuel, dann hast du auch keine! Was soll ich draußen tun, um deinen Arsch zu retten, wenn du dich hängen lässt?«
»Und was kann ich hier ausrichten?«
»Zumindest dich nicht einschüchtern lassen.«
»Du hast gut reden.« Er sah sich um. »Zwischen Mauern und Gittern.«
»Eine Säge werde ich dir nicht mit reinbringen, die musst du dir selbst basteln, aus Gedanken und aus Erinnerungen, an besagte junge Dame, die du an uns weitergibst, damit wir draußen suchen. Du kannst uns steuern. Aber ich muss vorsichtig sein, dieser Kriminaler hat mich auf dem Kieker, dieser Sechser.«
»Was kann ich tun?« Manuel hatte sich aufgerichtet.
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