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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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weichen Nachmittagssonne schimmernden Strom. Ein gewaltiger lebendiger Raum tat sich vor ihr auf, lieblich und mächtig, in ständiger Bewegung und Veränderung, vom Strom dominiert, geteilt und verbunden, der weite Himmel darüber wie ein Dach und die Höhenzüge als Grenzen, damit die Landschaft sich nicht im Uferlosen verlor. Es gab Licht, es gab Farbe, um alles zu unterscheiden und die Stadien des Wachstums sowie den Zustand zu erfassen. Die Stadt Ingelheim am jenseitigen Ufer war aus dieser Perspektive bedeutungslos, außerdem gehörte sie zu Rheinhessen, und die Weine von dort interessierten an diesem Ufer kaum jemanden.
    |185| Der Winzer hatte mit beiden Händen in einen der Erdwälle gegriffen, nach dem Ätherisch-Lebendigen, wie es Rudolf Steiner genannt hatte. Thomas schaute fasziniert zu, denn in den jetzt offenen Händen, die ihm der Winzer entgegenstreckte, wimmelte es von Regenwürmern. Da war keine Erde mehr, da war nur Leben, und Kühn erklärte ihnen die Bestandteile der Kompostberge: »Treber, die ausgelaugten Reste aus der Bierproduktion, abgestochene Hefen, Sägemehl, Laub, Trester, Erde und Rinderdung – so geben wir dem Boden das Leben zurück.«
    Das war für Johanna einsichtig, sie sah Thomas mitschreiben, sie hingegen wartete auf das Stichwort, das dann auch pünktlich kam. »Eichenrinde, Löwenzahn, Kamille, Brennnessel und Baldrian werden getrocknet und dann in die Bauchdecke eines Rindes eingeschlagen und den Winter über vergraben.«
    Wem sollte das nutzen? Dem Boden? Dem Winzer? Dem Wein? Dem Rind auf keinen Fall, denn es musste neben der Bauchdecke auch sein Horn opfern; in ihm wirkten Kräfte, nach innen gerichtete, die auf den in das Horn gestopften Mist übergingen. Den galt es in Wasser aufzulösen und damit zu düngen. Doch zuvor musste das Kuhhorn den Winter über vergraben werden, da, von Erde umgeben, alle im Kuhhorn enthaltenen Strahlen nach innen strahlten, im Sinne einer Ätherisierung und Astralisierung   ... Was für ein Mist, dachte Johanna und schaltete ab.
    Als sie später an einem Platz saßen, wo der Winzer eine Art Terrasse und ein Kreuz hatte errichten lassen, erinnerte sie sich, dass Steiner wegen seiner Rassetheorie in die Nähe der Nazis gerückt worden war. Was dachte ihr Winzer darüber. Warum hatte er hier mit biodynamischem Weinbau begonnen?
    »Dieser Weg war für uns bereits vorgezeichnet, als wir die Entscheidung für den biologischen Anbau trafen. Mir ging es darum, zusätzliche Kräfte zu mobilisieren. Man ringt |186| nach Worten, es zu erklären. Etwa achtzig Prozent aller Kräfte, die sich auf der Erde zeigen, die hier auf das Wachstum einwirken, kommen aus dem Kosmos. Die gilt es zu nutzen.« Etwas landläufiger war da schon die Erklärung, dass er zuerst auf mineralischen Dünger verzichtet hatte, damals hingen auch bei ihm im Rheingau überall Pheromon-Ampullen. Und der Eintrag von Humus in den Weinberg gab ihm das, was er den Trauben gab, auf natürliche Weise zurück.
    »Und wenn man zum dynamischen Weinbau übergeht, hat man den Eindruck, dass sich immer neue Türen öffnen, nach jeder Tür kommt eine weitere. Wir stärken die Pflan zen , wir schaffen eine Atmosphäre, in der sie sich wohl fühlen, in der die Vielfalt durch Aussaaten von Gräsern und Kräutern wiederhergestellt wird. Und der Weinstock dankt es uns mit gehaltvolleren Trauben.«
    Steiner hatte unter anderem von der Form der Elemente gesprochen, wie Johanna Thomas erklärte, vom Aggregatzustand, in dem zum Beispiel Stickstoff vorkam, gasförmig in der Atemluft, gebunden im Boden als Dünger. Der eine sollte tot sein, der andere war für ihn lebendig und sollte ein Eigenleben besitzen, sogar ein spirituelles.
    »An dieser Stelle bin ich ausgestiegen, dazu bin ich zu sehr Naturwissenschaftlerin, als dass ich noch hätte folgen können. Ich wollte auch nicht mehr. Ich halte viel von ganzheitlichen Methoden, einer nicht nur selektiven Betrachtung einzelner Phänomene. Ich weiß, dass im physischen und psychischen Raum alles miteinander in Beziehung steht. Sie wissen, wie ich das meine. Um das nicht anzuerkennen, habe ich zu viel über Klimamodelle gelernt. Aber der Schritt hin zu einer esoterisch orientierten Weltsicht ist mir dann doch zu groß.«
    Wenn es sich um Menschen handelte, war sie sich längst nicht mehr so sicher, doch das sprach sie nicht aus. Sie beobachtete den Winzer und Thomas, die beiden verstanden |187| sich auf Anhieb. Sie kannte es von sich selbst: Jede neue

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