Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
dieser Frau nur klarmachen.
Dann erreichten sie eine Stadt.
»East Hampton«, sagte der Fahrer in freundlicherem Ton, als wäre ihm auf einmal klargeworden, dass er sein Trinkgeld gefährdete.
Carly sah auf die Uhr. Fünf vor neun. Ihr Magen zog sich zusammen. Ihre Nerven flatterten.
Die Angst wurde noch größer, als der Wagen vor einer Tankstelle rechts abbog und in eine baumbestandene Straße mit einer doppelten gelben Linie in der Mitte rollte. Ihr klares Denken löste sich in einem Nebel der Panik auf. Sie atmete tiefer, schwitzte, hyperventilierte beinahe. Sie drehte sich um und sah, dass Lanigan ebenfalls abgebogen war. Auf einmal wirkte seine Gegenwart tröstlich.
Ihre Kehle wurde eng, der Knoten in ihrem Magen zog sich zusammen. Ihre Hände zitterten. Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Sie wollte in Ruhe nachdenken, unbedingt die richtigen Worte finden, um sich bei den Reveres vorzustellen. Wieder klingelte das Handy des Fahrers. Doch er drückte es weg, als spürte er ihre Stimmung.
Die doppelte gelbe Linie endete, und die Straße wurde schmaler. Im Licht der Scheinwerfer sah Carly gepflegte Hecken auf beiden Seiten.
Der Wagen fuhr langsamer und hielt an. Genau vor ihnen befand sich ein hohes, graugestrichenes Tor mit Eisenspitzen. Es gab eine Sprechanlage und ein Warnschild mit der Aufschrift bewaffneter Sicherheitsdienst.
»Soll ich klingeln?«, fragte der Fahrer.
Sie drehte sich um und schaute durchs Rückfenster. Der Ermittler stieg aus. Also tat sie es ihm nach.
»Viel Glück, Lady«, sagte Lanigan. »Mal sehen, ob die Sie reinlassen. Falls ja, warte ich hier. In fünfzehn Minuten erwarte ich die erste SMS. Denken Sie dran, okay?«
Sie wollte antworten, brachte aber kein Wort heraus. Ihr Mund war wie ausgedörrt, und es war, als läge ein eisernes Band um ihre Kehle. Sie nickte nur.
Er speicherte seine Nummer in Carlys Handy ab und tippte »Okay« ein. »Das schicken Sie mir alle fünfzehn Minuten.«
Die Luft war ruhig und mild. Carly hatte sich zwanglos, aber konservativ gekleidet. Sie trug einen leichten beigefarbenen Regenmantel über einer dunkelgrauen Jacke, einer schlichten weißen Bluse, schwarzen Jeans und schwarzen Stiefeln. Ihr ganzes Selbstbewusstsein hatte sich in Luft aufgelöst, und trotz des Adrenalins war sie noch fertiger als zuvor. Sie versuchte die Tatsache zu verdrängen, dass es für ihren Körper zwei Uhr morgens war.
Sie drückte die eckige Metalltaste. Sofort schien ihr ein Licht ins Gesicht. Darüber war eine Überwachungskamera auf sie gerichtet.
Eine Stimme meldete sich in gebrochenem Englisch. »Ja, wer ist da?«
Carly zwang sich, in die Kamera zu lächeln. »Ich bin aus England gekommen, um mit Mr und Mrs Revere zu sprechen. Mein Name ist Carly Chase.«
»Werden Sie erwartet?«
»Nein, aber ich glaube, sie wissen, wer ich bin. Ich war in den Unfall ihres Sohnes Tony verwickelt.«
»Sie bitte warten.«
Das Licht ging aus. Carly umklammerte ihr iPhone, den Finger auf Senden . Sie drehte sich um und sah Lanigan an, der an seinem Wagen lehnte und eine Zigarre rauchte. Er gab ihr ein aufmunterndes Zeichen. Als ihr der Zigarrenrauch in die Nase wehte, musste sie einen Moment lang an Kes denken.
Eine Minute später glitten die Tore beinahe lautlos auseinander. Man hörte nur ein leises elektrisches Surren. Krank vor Angst stieg sie wieder in den Wagen.
79
CARLY TRAT HINAUS IN DIE STILLE des Abends. Vor ihr ragte die Fassade eines gewaltigen modernen Herrenhauses auf. Es sah dunkel und abweisend aus, drinnen brannte kaum Licht. Sie drehte sich zu der Limousine um, als wollte sie es sich anders überlegen. Sie parkte einige Meter entfernt auf einer mit Holzhäckseln bestreuten Einfahrt, ganz in der Nähe eines Porsche Cayenne. Im Scheinwerferlicht zeichneten sich die dunklen Schatten von Büschen und Bäumen jenseits eines gepflegten Rasens ab. Ihre Nerven spielten verrückt, sie sah überall Gesichter, die aus den dunklen Fenstern auf sie herunterspähten. Sie schluckte, schluckte noch einmal und schaute zur Haustür, die sich unter einem imposanten Vorbau mit eckigen modernen Säulen befand.
Mein Gott, schaffe ich das wirklich?
Die Stille lastete schwer auf ihr. In der Ferne konnte sie schwach das ruhelose Rauschen des Meeres hören. Sie atmete die prickelnde, salzige Luft ein und den Duft von frisch gemähtem Gras. Das alles war beängstigend normal. Diese Leute lebten ihr Leben wie bisher auch. Ihr Sohn war gestorben, aber sie mähten noch immer
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