Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
Autotür.
»Ach nein, so ist es nicht gewesen?« In diesem Augenblick sah Lou Revere aus, als wollte er sie am liebsten erwürgen. Er hob die Hände, ballte sie zu Fäusten und öffnete sie wieder.
Plötzlich begriff Carly, was die beiden Ermittler in Brighton gemeint hatten, als sie ihr das Wesen dieser Menschen erklären wollten. Dass sie anders waren. Dass sie andere Spielregeln hatten. Sie zögerte einen Moment, bevor sie auf Senden drückte, aber sie musste sich behaupten. Musste irgendwie zu diesem Mann durchdringen.
Er war ihre einzige Chance.
80
WÄHREND PAT LANIGAN NEBEN SEINEM AUTO stand und Zigarre rauchte, hörte er, wie ein Motor angelassen wurde. Dann öffneten sich die Tore. Kam die verrückte Engländerin etwa schon wieder zurück? Sie war doch gerade erst hineingefahren. Er schaute noch einmal auf die Uhr.
Immerhin war es gut, wenn sie überhaupt wieder herauskam. Wenn sie nur fünf Minuten durchgehalten hatte, war es vermutlich nicht gut gelaufen. Vielleicht nahm sie jetzt endlich Vernunft an.
Doch zu seiner Überraschung tauchte ein Porsche Cayenne mit einer Frau am Steuer auf, die rücksichtslos durch das Tor schoss und dann wie eine Wilde Gas gab.
Er merkte sich das Kennzeichen, bevor die Rücklichter in einer Kurve verschwanden. Das sah nicht gut aus. Er warf einen Blick auf sein Handy. Keine SMS, kein Anruf. Das gefiel ihm ganz und gar nicht.
Er ging sein Telefonbuch durch und wählte die Nummer der Polizei von Suffolk County. Dann stellte er sich vor und gab das Kennzeichen durch. Er wollte wissen, wohin der Porsche fuhr.
*
Fernanda Revere bremste vor der Einmündung an der Tankstelle, holte eine Packung Zigaretten aus der Handtasche und steckte sich eine zwischen die Lippen. Dann drückte sie den Zigarettenanzünder hinein, bog links ab und schoss auf den Highway. In ihrem betrunkenen Zustand verschwamm ihr alles vor Augen. Sie überholte ein langsames Taxi und gab weiter Gas: 110, 130, 140. Sie raste an einer ganzen Reihe von Rücklichtern vorbei, zündete sich die Zigarette an und versuchte, den Anzünder wieder hineinzustecken, doch er fiel auf den Boden.
Sie zitterte vor Wut. Die Straße schlängelte sich in der Ferne dahin. Sie lenkte mit einer Hand, zwischen den Lippen die Zigarette, deren Rauch ihr in die Augen stieg. Sie wühlte in ihrer Handtasche, zog das diamantenbesetzte Handy heraus und schaute blinzelnd aufs Display. Alles war verschwommen. Sie hielt es näher ans Gesicht, suchte die Nummer ihres Bruders und wählte.
Sie überholte einen Sattelschlepper, lenkte mit einer Hand. Nur weg von hier. Weg von der Schlampe, die ihr Haus heimgesucht hatte. Es klingelte sechsmal, dann meldete sich die Mailbox.
»Scheiße, wo bist du, Ricky?«, brüllte sie. »Was zum Teufel ist los? Diese englische Schlampe ist zu uns gekommen. Hörst du mich? Die Schlampe, die Tony umgebracht hat, ist bei uns zu Hause. Warum ist sie nicht tot? Ich habe dich bezahlt, warum ist sie nicht tot? Was geht hier vor? Du musst das regeln, Ricky. Ruf mich an. Ruf mich an, verdammt nochmal!«
Sie drückte das Gespräch weg und warf das Handy auf den Beifahrersitz. Sie wusste nicht, wohin sie fuhr. Nur weg von dem Haus, hinein in die Dunkelheit. Je weiter, desto besser. Lou musste die Schlampe loswerden. Sie würde erst nach Hause fahren, wenn Lou anrief und ihr sagte, das die Schlampe weg war, weg aus ihrem Haus und aus ihrem Leben.
Sie überholte einen weiteren Wagen. Die Nacht rauschte dahin. Die entgegenkommenden Lichter rasten vorbei.
Tony war tot. Schon als Baby wäre er fast gestorben. Sein erstes Lebensjahr hatte er im Krankenhaus an einem Beatmungsgerät verbracht. Die meiste Zeit in einer Isolationskapsel. Sie hatte Tag und Nacht dort gesessen, während Lou arbeitete, ihrem Vater in den Arsch kroch oder Golf spielte. Tony hatte es überstanden, war aber immer ein kränkliches Kind geblieben, das unter chronischem Asthma litt. Mit acht Jahren hatte er fast ein Jahr mit einem Lungenvirus im Bett gelegen. Sie hatte ihn mit einem Löffel gefüttert. Ihm die Stirn abgewischt. Ihn gesund gepflegt und wieder aufgepäppelt. Als Teenager war er wie alle anderen. Letztes Jahr hatte er sich dann in dieses dumme englische Mädchen verliebt.
Sie hatte Lou angefleht, ihm den Umzug zu verbieten, aber was hatte er getan? Nichts. Er hatte ihr nur irgendwelche Scheiße erzählt, dass die Kinder ihr eigenes Leben führen müssten. Vielleicht kamen manche von ihnen in einem fremden Land klar. Aber Tony war
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