Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
werden würde wie die letzte. Doch mit der Mandantin, die gerade im Büro Platz genommen hatte, begann der Montag nicht gerade vielversprechend.
Ken Acott hatte ihr mitgeteilt, dass die gerichtliche Anhörung nächste Woche Mittwoch stattfinden sollte. Er würde versuchen, ihren Audi so bald wie möglich von der Polizei zurückzubekommen, doch der Wagen war stark beschädigt und würde vermutlich nicht innerhalb der nächsten zehn Tage repariert werden. Sie würde mit Sicherheit ihren Führerschein verlieren, mit etwas Glück nur für ein Jahr.
Ihre Freundin Clair May, deren Sohn ebenfalls St Christopher’s besuchte, hatte Tyler heute Morgen zur Schule mitgenommen und würde ihn auch wieder nach Hause bringen. Sie hatte Carly angeboten, das so lange wie nötig zu übernehmen, wofür sie ihr sehr dankbar war. Carly hatte nie darüber nachgedacht, wie verloren sie ohne Auto wäre, war aber fest entschlossen, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Kes hatte immer gesagt, sie solle auch in negativen Dingen etwas Positives finden. Und das würde sie verdammt nochmal versuchen.
Heute Morgen hatte sie sich als Erstes die Festpreise für Taxis angeschaut, Busfahrpläne gegoogelt und mit dem Gedanken gespielt, ein Fahrrad zu kaufen. Bis zur nächsten Bushaltestelle war es ziemlich weit, und so oft fuhren die Busse auch nicht. Ein Fahrrad wäre die beste Möglichkeit – jedenfalls solange es nicht in Strömen regnete. Doch die Erinnerung an den Unfall war noch sehr frisch, und sie konnte im Augenblick wenig Begeisterung fürs Radfahren aufbringen.
Die Akte ihrer Mandantin lag aufgeschlagen vor ihr. Mrs Christine Goodenough. Zweiundfünfzig. Die Frau mochte einmal eine Figur gehabt haben, war nun aber nur noch eine formlose Masse, und ihr graues Haar schien im Hundesalon frisiert worden zu sein. Sie legte die fleischigen Hände auf ihre Handtasche, die sie besitzergreifend auf dem Schoß hielt, als traute sie Carly nicht über den Weg. Sie schien empört.
Es waren selten die großen Dinge, an denen eine Ehe scheiterte. Nicht unbedingt Affären, so etwas überstand eine Beziehung häufig. Nein, es waren meist die Kleinigkeiten, die sich aufstauten und irgendwann die Sache zum Kippen brachten. Dinge wie die, die die Frau vor ihr gerade enthüllte.
»Ich habe seit letzter Woche drüber nachgedacht. Nicht nur dass er schnarcht, was er glattweg abstreitet, es ist auch sein Pinkeln in der Nacht.« Bei dem Wort verzog sie das Gesicht. »Das macht er nur, um mich zu ärgern.«
Carly machte große Augen. »Wie habe ich das zu verstehen?«
»Er pinkelt mitten ins Wasser, das plätschert furchtbar. Pünktlich um zwei jeden Morgen. Dann noch mal um vier. Wenn er rücksichtsvoll wäre, würde er ans Porzellan pinkeln, an der Seite, oder?«
Carly musste an Kes denken. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er nachts jemals gepinkelt hätte, außer wenn er völlig betrunken war.
»Meinen Sie wirklich?«
Obwohl Carly ihr Geld in einer Kanzlei verdiente, die sich auf Ehesachen spezialisiert hatte, versuchte sie stets, ihre Mandanten von einem Gerichtsverfahren abzubringen. Sie fand es viel befriedigender, wenn sie ihre Probleme gütlich regelten.
»Vielleicht ist er nur müde und kann sich nicht aufs Zielen konzentrieren.«
»Müde? Er macht das mit Absicht. Darum hat Gott den Männern doch einen Dödel gegeben, oder? Damit sie beim Pinkeln zielen können.«
Gott hatte wirklich an alles gedacht.
Carly unterdrückte die Versuchung, es laut auszusprechen. »Ich glaube, das können Sie dem Richter bei der Anhörung nur schwer begreiflich machen.«
»Ja, aber nur, weil die Richter alle Kerle mit kleinen Dödeln sind, nicht wahr?«
Carly schaute die Frau an und versuchte, ihre berufliche Integrität und Neutralität zu wahren. Dennoch gelangte sie sehr schnell zu dem Schluss, dass sie anstelle des Ehemanns schon längst versucht hätte, die Kuh um die Ecke zu bringen.
Sicher, das war nicht die richtige Einstellung. Scheiß drauf.
46
TOOTH WAR NICHT GERADE GLÜCKLICH, als er in die Wohnstraße einbog und über eine Bremsschwelle fuhr. Die Bäume boten wenig Schutz. Die Straße war auf beiden Seiten auf weite Strecken gut einsehbar. Hier konnte man sich schwer verstecken. Es gab kleine Geschäfte und eine Mischung aus Doppelhaushälften und Bungalows. Manche hatten Garagen im Erdgeschoss, bei anderen war der Bereich in ein zusätzliches Zimmer umgewandelt worden. Auf beiden Seiten parkten Wagen am Straßenrand, aber es gab
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