Riley Das Mädchen im Licht
sich an nichts anderes mehr erinnern konnte.
Ihr Kummer hatte sie ganz und gar im Griff.
Ohne ihn glaubte sie, nicht mehr existieren zu können – sie fürchtete, dann komplett zu verschwinden.
Und sie war sich nicht bewusst, dass genau dieses Verschwinden die beste Lösung für sie wäre.
Natürlich würde die traurige, alte Gestalt verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen, aber nur damit sie in einer anderen, besseren, glücklicheren Version ihrer selbst auf der anderen Seite der Brücke ein neues Leben beginnen konnte.
Ich beobachtete den Kampf. Mir war bewusst, dass ich kein Recht hatte, mich einzumischen, dass es verboten war und Bodhi es nicht erlauben würde. Aber das bedeutete nicht, dass ich ihn nicht mit Hoffnung umgeben konnte. Ich stellte mir die Farbe dafür in meinen Gedanken als das strahlende Pink einer Rosenblüte vor, verwandelte sie in eine riesige glitzernde Seifenblase und hüllte ihn darin ein, während ich ihm meine guten Wünsche schickte.
Ich wollte, dass das bald ein Ende hatte und dass Bodhi die Kraft aufbringen würde, sie von ihrem Leid zu befreien, damit sie endlich frei sein konnte.
Und dabei versuchte ich, nicht daran zu denken, was aus ihm werden würde, wenn er ihren Kummer geschluckt hatte.
Wo würde der Schmerz hingehen?
Würde er dann gezwungen sein, ihren Platz am Fenster einzunehmen und die nächsten Jahrhunderte zu wehklagen?
Oder konnte er einen Weg finden, den Schmerz zu verarbeiten?
Ihn zu entsorgen, so wie man es mit Abwasser und Müll und anderem ekelhaften Zeug macht?
Eine Art Aufarbeitung, damit sich keine Giftstoffe mehr darin befinden und keine zerstörerische Gefahr mehr davon ausgeht.
Und wenn er es nicht verarbeiten und auf irgendeine Weise aufbereiten konnte, was würde dann aus mir werden?
Würde ich jemals einen Weg aus diesem unergründlichen Meer finden?
Oder war ich gezwungen, für den Rest der Ewigkeit in diesem schwarzen, öligen Wasser herumzustrampeln?
Obwohl mir all diese Gedanken durch den Kopf schossen, hielt ich mein Versprechen und blieb an meinem Platz. Während ich mit den Beinen strampelte und mit den Armen Halbkreise durch das Wasser zog, dachte ich ganz fest an die leuchtende rosafarbene Blase der Hoffnung. Ich beobachtete, wie Bodhi seinen verzweifelten Kampf weiterführte und mit seinem Licht gegen ihre dunkle, schwere Seele ankämpfte.
Zitternd und bebend rang er darum, ihr den Schmerz abzunehmen, während ich mir selbst immer wieder zuflüsterte, dass alles gut werden würde. Am Ende gewinnt immer das Licht. In allen meinen Lieblingsbüchern, Lieblingsfilmen und Fernsehshows war das so – es ist nun einmal so.
Aber was hier ablief, war allzu wirklich.
Und ob es mir nun gefiel oder nicht – Bodhi und ich waren in dieser Sache aneinander gefesselt, und unser beider Dasein in der Ewigkeit hing davon ab, wie diese Sache endete.
Ich schloss meine Augen vor Erschöpfung und wollte nichts mehr sehen. Trotzdem klammerte ich mich noch immer an die Hoffnung – und hoffte, dass ihm das ein klein wenig auf eine für ihn annehmbare Weise helfen würde.
Hoffte, dass sie loslassen würde, ihren Kummer aufgeben und weiterziehen würde.
Hoffte, dass Bodhi bestimmt und stark bleiben und weiterkämpfen würde.
Und bevor ich mich’s versah, war es vorbei.
Plötzlich war ich weg von allem und befand mich wieder in dem kleinen, feuchten Raum. Stumm sah ich zu, wie das Kleid der Geisterfrau weiß wurde, sich ihr Haar aufhellte und wieder Farbe in ihre Wangen zurückkehrte. So musste sie ausgesehen haben, bevor all diese Dunkelheit über sie hereingebrochen war.
Am bemerkenswertesten war die Veränderung ihrer Augen.
Sie verwandelten sich von abgrundtiefen, öligen, schwarzen Teichen – einem endlosen Meer an Leid – in sanftes, strahlendes Blau.
Als sie mich anschaute, mich direkt ansah, war ihr Lächeln so freudig, so leuchtend und so von Hoffnung erfüllt, dass es sie wie einen Heliumballon hochhob. Sie schwebte aus dem kleinen Fenster dem Himmel entgegen.
Ich stupste Buttercup an und sah zu, wie er die Pfoten von den Augen nahm. Dann lief ich sofort zu Bodhi hinüber, der sich in einer Ecke zusammengekauert hatte, die Arme fest um die Taille geschlungen. Er war erfüllt von Kummer und Schmerz und wusste nicht, was er damit anfangen sollte.
Ein kurzer Blick verriet mir, dass er, obwohl er bei uns zu sein schien, nicht wirklich da war. In seinen Gedanken, in seiner Seele war er noch auf diesem kleinen verlassenen Felsen und
Weitere Kostenlose Bücher