Riley - Die Geisterjägerin - Noël, A: Riley - Die Geisterjägerin - N.N. 3 (nach "Radiance" - The Riley Series)
verstecken. Das tut mir sehr leid – viel, viel mehr als das, was dir auf dem Volksfest zugestoßen ist.«
Meine Worte ließen ihn verstummen. Er stand vor mir und strich sich über den eingedrückten Schädel, das wo früher sein Haar gewesen war, ohne das Blut zu bemerken, das auf seine Füße tropfte.
»Ich habe gesehen, dass sie dich liebten, wirklich. Und
ich weiß, dass du ihr Ein und Alles warst und sie deshalb so große Angst hatten, dich zu verlieren. Sicher wollten sie nur das Beste für dich und bemühten sich daher, dich von jeder Gefahr fernzuhalten. Aber dadurch machten sie dich zu einem Gefangenen! Du durftest nicht rennen, nicht Fahrrad fahren, mit den anderen Kindern in der Schule Sport treiben …« Ich schüttelte den Kopf, fest entschlossen, mich nicht allzu sehr mitreißen zu lassen. Es war unbedingt erforderlich, die Botschaft klar und deutlich und frei von jeglichen Gefühlen auszudrücken – ganz gleich, wie wütend das Verhalten seiner Eltern mich machte. »Du hattest keine Freunde und niemals richtig Spaß. Keinen einzigen Moment lang. Und obwohl das nicht ihre Absicht war, machten sie dich dadurch zu einem Sonderling, an dem das Leben vorbeiging. Meine Güte, sie haben dir nicht einmal ein Haustier erlaubt. ›Tiere sind zu gefährlich‹, wie sie sagten. Das ist doch nicht zu fassen!« Ich hielt inne, dachte über meine Worte nach und verglich das alles mit meinem eigenen Leben.
Eigentlich hatte ich seit meinem Tod nichts anderes getan, als mich darüber zu beschweren, wie kurz mein Leben gewesen war. Ich hatte mich über mein lausiges Schicksal beklagt, das mir bereits mit zwölf Jahren den Tod beschert hatte.
Bis ich Satchel kennen gelernt hatte, war es mir niemals in den Sinn gekommen, mich darüber zu freuen, dass ich in einer so kurzen Zeitspanne so intensiv hatte leben dürfen.
Ich hatte Freunde gehabt – jede Menge.
Ich hatte Sport getrieben – obwohl ich in keiner Sportart sehr gut gewesen war.
Ich war im Regen Fahrrad gefahren – und hatte gelacht, wenn das Wasser an meinem Hinterreifen hochgespritzt war und meine Schwester Ever traf.
Ich hatte ein Haustier gehabt – und tatsächlich habe ich es immer noch.
Ich hatte alle Vergnügen eines normalen Lebens genossen, die Satchel nie kennen gelernt hatte. Seine Eltern hatten ihm das alles vorenthalten.
Und plötzlich erfüllte mich große Dankbarkeit für alles, was ich gehabt hatte, dass ich nicht länger dem nachtrauern konnte, was ich für verloren geglaubt hatte.
Mein Leben mochte lächerlich kurz gewesen sein – aber die kurze Zeit, die ich gelebt hatte, war richtig gut gewesen.
»Es gibt nur zwei Gefühle«, erklärte ich Satchel, obwohl ich mir nicht so recht im Klaren war, welche ich damit meinte, bis ich sie dann benannte. »Liebe und Angst. Alles dreht sich um Liebe und Angst. Und alles andere entsteht aus dieses beiden Gefühlen.«
Ich hielt inne. Ich wollte, dass er mir gut zuhörte und vollkommen verstand, was ich selbst gerade erst begriff. Ich wusste nicht genau, woher diese Erkenntnis plötzlich kam, und fragte mich, ob sie möglicherweise das Ergebnis einer Art Gedankenwelle war. Wie auch immer – ich verließ mich darauf, dass sie wahr war.
»In deiner Familie wurden Liebe und Angst so miteinander verknüpft, dass sie sich zu ähneln begannen. Angst wurde mit Liebe verwechselt, bis sie aussah und sogar so wirkte wie Liebe. Und sich so anfühlte. In Wahrheit könnten diese beiden Gefühle nicht gegensätzlicher sein. Ich meine, denk doch mal darüber nach. Das einzige Mal, als du dich wirklich lebendig gefühlt hast – das einzige Mal in deinem ganzen Leben, in all den dreizehn Jahren –, war die Fahrt auf dem Riesenrad, oder? Das war das einzige Mal, dass du dich frei gefühlt hast. Und erst da hast du begriffen, welche wunderbaren Möglichkeiten das Leben zu bieten hat. Wie wir beide wissen, bist du unglücklicherweise ein wenig übers Ziel hinausgeschossen, und daher endete die Sache auf tragische Weise. Falls du jemals auf die Erdebene hinuntergeschaut hast, nachdem du sie verlassen hast, hast du sicher gesehen, dass du allen ein überzeugendes warnendes Beispiel gegeben hast, darauf wette ich. Ich wette, Jimmy Mac hat nie mehr eine Gondel in einem Riesenrad angeschubst. Und ich wette, er hat es sich gründlich überlegt, bevor er noch einmal jemanden verspottet hat. Ich wette, Mary Angel hat für immer Schuldgefühle empfunden, weil sie diejenige war, die dich zu dieser Fahrt
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