Riley - Im Schein der Finsternis -
gesamte Willenskraft, um nicht aufzustöhnen und die Augen zu verdrehen, das muss ich zugeben, aber irgendwie gelang es mir, mich zurückzuhalten. Ich war sehr dankbar, ihn in meiner Nähe zu haben, dennoch war er ohne Zweifel ein Spinner. Allerdings hatte er einiges durchgemacht und Dinge erlebt, die sicher beinahe jeden irgendwann an den Rand seines Verstands bringen würden. Als ich mir das vor Augen führte, bemühte ich mich, so gut ich konnte, ihn nicht zu verurteilen, aber das alles ging mir, wie ich ungern zugebe, ziemlich auf die Nerven.
Also sagte ich stattdessen nur: »Äh, könntest du mir das erklären?«
Ich beobachtete, wie er ein paar Schritte vorwärtsging und sich einen Moment Zeit ließ, um seinen Blick prüfend über den Boden gleiten zu lassen. Er presste dabei eine Hand fest gegen seine Stirn und schützte seine Augen vor dem Ascheregen, der immer noch auf uns herunterfiel. Dann ließ er die Hand unvermittelt sinken, hob einen alten, verbrannten Ast vom Boden auf und zeichnete mit dem spitz zulaufenden, abgebrochenen Ende einen kleinen Kreis in die Ascheschicht. »Der Kreis stellt dich dar«, erklärte er. Er schaute mich an, um sich zu vergewissern, dass ich das verstanden hatte, bevor er einen weiteren, viel größeren Kreis daneben malte. »Und das ist die Seifenblase.«
Ich nickte. So weit, so gut. Das hatte ich begriffen.
Nachdem er eine Zickzacklinie gezeichnet hatte, die den gesamten Raum zwischen dem kleinen und dem großen Kreis ausfüllte, fügte er hinzu: »Und irgendwo hier befinden sich deine Freunde.«
»Ja, Bodhi und Buttercup«, erwiderte ich, erpicht darauf weiterzukommen. Ich war sicher, dass jetzt der gute Teil kommen würde – der Teil, in dem er mir sagen würde, wo genau ich die beiden finden konnte.
»Also, mit dem, was du über diesen Bodhi und über … Buttercup weißt …« Der Name meines Hundes klang aus seinem Mund auf komische Weise fremd. Er tippte mit dem Stock auf die Erde. »Wo würdest du beginnen, nach ihnen zu suchen?«, fragte er. »Was wäre der letzte Ort, an den sie jemals zurückkehren wollen würden? An welchem Ort würde das größte Trauma oder die schlimmste Kränkung auf sie warten?«
Meine Wangen röteten sich, und ich wandte rasch den Blick ab.
Ich hatte keine Ahnung, was ich ihm darauf antworten sollte, und ich fühlte mich unwillkürlich zutiefst beschämt deswegen.
Natürlich, Bodhis viel zu früher Tod durch Knochenkrebs schien die naheliegendste Möglichkeit zu sein, aber, na ja, so ganz sicher war ich mir nicht, denn ich erinnerte mich an die lässige Art, wie er mir davon erzählt hatte, die Art, wie er mit den Schultern gezuckt und es mit einem Spruch abgetan hatte: »So läuft es eben nun manchmal, oder?«
Ich meine, war das nur gespielte Tapferkeit gewesen?
Die Nummer eines großen Aufschneiders, in der er mir den harten Kerl vorspielte, damit ich ihn respektierte und er bei mir einen guten Eindruck machte?
Hatte er seinen frühen Tod wirklich so locker hingenommen?
Oder hatte er ihn erst an dem Punkt akzeptiert, an dem er ohnehin nichts mehr daran ändern konnte – als er bereits tot war und, verflixt noch mal, nichts mehr dagegen tun konnte?
Obwohl ich mich bemühte, meinen Platz und meine Bestimmung auf der anderen Seite zu finden, muss ich offen und ehrlich zugeben, dass es, wenn ich an meinen verfrühten Abgang dachte, immer noch Augenblicke gab, in denen ich stinksauer war, weil ich niemals, niemals das sein würde, was ich mir so sehr gewünscht hatte: dreizehn.
Das einzige wirkliche, tatsächlich realisierbare, anscheinend erreichbare Ziel, das ich hatte, war, ein richtiger, waschechter Teenager zu werden – und das wurde mir mir nichts, dir nichts, gestohlen.
Aber vielleicht empfand auch nur ich so. Soweit ich wusste, sah Bodhi diese Dinge ganz anders als ich.
Ich wandte mich wieder Prinz Kanta zu und zog die Schultern nach oben. »Da war dieses Mädchen«, sagte ich. »Ein sehr hübsches, dunkelhaariges Mädchen. Und obwohl ich weiß, dass es sich um Rebecca in Verkleidung handelte, konnte Bodhi das nicht erkennen. Für ihn war sie jemand, den er wiedererkannte, und er rannte hinter ihr her, als …« Ich hielt inne, um die Szene noch einmal in Gedanken vor mir ablaufen zu lassen und um mich an seinen Gesichtsausdruck und die Sehnsucht in seiner Stimme zu erinnern. »Er rannte hinter ihr her, als hätte er sie sehr, sehr vermisst. Aber mehr weiß ich darüber leider nicht.«
Der Prinz kniff die Augen
Weitere Kostenlose Bücher