Riley Jenson 01 - Die Mondjägerin
nicht so stark ausgeprägt war wie bei einem Vollblutwolf, konnte ich das dringende Verlangen nach Sex nicht ignorieren.
Wenn die Mondlust jetzt schon so stark war, konnte ich mich wohl auf eine aufregende Woche gefasst machen. »Also«, sagte ich und verdrängte den Gedanken, wie schön es wäre, mich mit dem Vampir direkt hier in der Halle zu paaren und die prüde Frau Russell ein bisschen zu schockieren. »Offensichtlich bist du über Nacht nicht zur Vernunft gekommen.« »Nun, das kommt darauf an, was du unter ›zur Vernunft kommen‹ verstehst.« Seine warmen braunen Augen strahlten. »Wenn du darauf anspielst, dass ich immer noch da bin, offensichtlich nicht. Wenn du meinst, dass meine Erinnerung zurückgekommen ist, dann schon.« »Dann weißt du wieder, wieso du eigentlich hier bist?« »Das habe ich dir schon letzte Nacht erklärt.«
Das hatte er. Ich war nur neugierig, ob sich seine Geschichte verändert hatte. »Und ich habe gesagt, in einem dringenden Fall solltest du zur Abteilung gehen. Jeder Wächter kann dir helfen.« »Ich muss mit deinem Mitbewohner sprechen.« Ich spießte mit der Gabel etwas Speck auf und tunkte ihn in das Eigelb. »Bist du einer von seinen Liebhabern?« Er zuckte so heftig zurück, als hätte ich ihn geohrfeigt. »Natürlich nicht.« Ich grinste. »Nichts für ungut. Ich meine ja nur. Immerhin wechseln Vampire, die älter als ein oder zwei Jahrhunderte sind, gern ab und an das Geschlecht ihrer Partner.« Er musterte mich mit ausdruckslosem Gesicht. Seine Augen waren tiefe dunkle Seen, in denen man sich leicht verlieren konnte, wenn man nicht aufpasste. »Du bist doch ein Werwolf, oder nicht?«
»Ja.« Ich riss ein Stück Muffin ab, tunkte den Brocken in das Ei und stopfte ihn mir in den Mund. Ich war eben eine waschechte Lady. »Wenn es um Vampire geht, spüren Werwölfe auch nicht mehr als Menschen«, sagte er leise. »Woher wusstest du also, dass ich ein Vampir bin, ganz abgesehen davon, dass ich älter als zweihundert Jahre bin?« Ich zuckte mit den Schultern. »Mein Mitbewohner ist ein Wächter, und ich arbeite mit Wächtern zusammen. Da schnappt man das ein oder andere auf.«
Ein Blick in sein Gesicht verriet, dass er mir diese Lüge nicht abkaufte. »Kann ich dich noch etwas fragen?« »Du kannst gern fragen. Ich kann aber nicht versprechen, dass ich auch antworte.« Er lächelte, und in seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Fältchen. Er war nicht nur höflich, er hatte auch noch Sinn für Humor. Erstaunlich. »Du hast nicht … wie soll ich sagen … die typische … Gestalt eines Werwolfs.« »Meinst du damit, dass ich einen wohlgeformten Körper und einen anständigen Busen besitze?« Meinen Brüsten hatte ich in der Vergangenheit den einen oder anderen Arbeitsplatz zu verdanken gehabt. Obwohl Diskriminierung gesetzlich verboten war, wollten einige Leute einfach keine Werwölfe beschäftigen, da sie aufgrund der Mondphasen alle vier Wochen für eine Woche ausfielen. Dank meiner Brüste ahnten die meisten Leute aber nicht, dass ich ein Werwolf war.
Sein Blick wanderte zu meinem Kopf. »Du hast rote Haare. Ich dachte, es gäbe nur vier Rudel – mit silbernem, schwarzem, blondem und braunem Fell.« Ich nickte. »Das glauben die meisten. Es gibt tatsächlich nur sehr wenige rote Rudel, und sie leben alle sehr zurückgezogen. Sie stammen aus Irland und sind nach Australien ausgewandert, ins Outback. Die meisten leben noch heute dort.« »Irland und Zentralaustralien sind aber zwei ziemlich unterschiedliche Gegenden.«
Nachdem ich vor acht Jahren nach Irland gereist war, konnte ich das nur bestätigen. Ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Regen gesehen – jedenfalls bis ich nach Melbourne kam.
»Sie sind während der Rassenunruhen 1795 vertrieben worden. England hat Australien zu jener Zeit als Strafkolonie benutzt. Es gab dort sehr viel Land, also sind sie dorthin gegangen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, dass ihnen das warme Australien nach dem kalten Irland wie ein Paradies vorgekommen ist.« »Damals hätten sie sich jeden Ort aussuchen können. Wieso sind sie ausgerechnet ins Outback gegangen?« »Keine Ahnung.« Ich wusste es jedenfalls nicht. Rudelgeschichte war nie meine Stärke gewesen. Das Rudel hatte sich allerdings auch nicht gerade besonders viel Mühe mit unserem Unterricht gegeben – warum sollte es auch, wo doch alle nur darauf gewartet hatten, dass wir endlich erwachsen wurden, damit sie uns hinauswerfen konnten?
Manche
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