Riley Jenson 01 - Die Mondjägerin
bei der Polizei. Gautier zeigte kurz den Dienstausweis der Abteilung und ging hinaus. Der Blick, den er mir zuwarf, bevor er sich wieder in Schatten hüllte, versprach mir, dass unsere Auseinandersetzung noch lange nicht vorbei war. Das war nicht sonderlich überraschend.
Sobald ich konnte, schnappte ich meine Handtasche und machte, dass ich aus dem Club kam. Verglichen mit dem Gestank in dem Raum roch es draußen sehr angenehm. Ich atmete tief die frische Luft ein und atmete die verfaulten Gase aus. Immer noch waberte Blutgeruch in der Luft, doch das war normal, vor allem, weil ein Großteil davon jetzt an mir klebte. Ich brauchte eine schöne heiße Dusche. Ich schlang die Tasche über meine Schulter und machte mich barfuß auf den Heimweg.
Doch kaum war ich ein Duzend Schritte gegangen, als mich abermals das merkwürdige Gefühl überkam, dass etwas nicht stimmte. Diesmal war es noch stärker. Ich blieb stehen und blickte über meine Schulter zurück. Was zum Teufel ging hier vor? Wieso empfand ich so, wenn die Situation im Club doch geklärt war?
Dann wusste ich es. Das Gefühl wurde nicht durch etwas im Club oder aus der Nähe ausgelöst. Es kam von einem viel entfernteren Ort. Einem persönlicheren Ort. Und zwar einem, mit dem ich durch das Zwillingsband verbunden war. Mein Bruder steckte in Schwierigkeiten.
2
Ich geriet in Panik. In den letzten Monaten waren zehn Wächter unter ungeklärten Umständen verschwunden, und nur zwei von ihnen waren wieder aufgetaucht, besser gesagt, einzelne Körperteile von ihnen. Ich schluckte heftig. Mein Zwillingsbruder durfte auf gar keinen Fall der elfte sein! Seit das Rudel uns verstoßen hatte, war er meine Familie. Er war der Einzige, der mir etwas bedeutete, der Einzige, ohne den ich nicht leben konnte. Wenn ich ihn verlor, würde ich daran genauso sicher zugrunde gehen wie an einer Silberkugel.
Ich holte tief Luft und kämpfte mit den Tränen. Rhoan war nicht verletzt, und er starb auch nicht, denn ich fühlte weder das eine noch das andere. Er steckte lediglich in Schwierigkeiten, und ob nun durch meine Schuld oder nicht, es war fast sein ganzes Leben lang nicht anders gewesen. Er würde schon damit fertigwerden, egal was es diesmal sein mochte.
Ich durfte jetzt auf gar keinen Fall in Panik geraten. Aber zumindest konnte ich kurz nachfragen. Ich suchte mein Mobiltelefon, drückte die Videotaste und rief meinen Chef Jack Parnell an. Er war der derzeitige Leiter der Wächterabteilung und einer der wenigen Vampire, den ich mochte. Und da gab es noch Kelly; sie war eine Wächterin und eine meiner wenigen Freundinnen. Die beiden waren nicht nur nett, sondern betrieben regelmäßig Körperpflege wie jeder andere auch.
Jacks Glatzkopf erschien auf dem winzigen Display. Er grinste mich breit an, doch das Grinsen wurde von seinem wachsamen Blick Lügen gestraft.
»Schön, dass du nach deiner abendlichen Spritztour unverletzt bist«, sagte er fröhlich mit seiner heiseren Stimme. »Ich erwarte deinen Bericht morgen früh.« »Ich schreibe ihn zu Hause und schicke ihn dir per E-Mail. Sag mal, hast du etwas von Rhoan gehört?« »Vor ungefähr zwei Stunden. Wieso?«
Ich zögerte. Ich musste aufpassen, was ich sagte, denn niemand in der Abteilung wusste, dass Rhoan und ich verwandt, geschweige denn Zwillinge waren. Die Tatsache, dass wir denselben Nachnamen trugen, war bedeutungslos, denn das war bei allen Mitgliedern eines Wolfsrudels so. Somit hieß jeder, der zu unserem Rudel gehörte, mit Nachnamen Jenson, egal ob verwandt oder nicht. Und wenn jemand Neues zu unserem Rudel stieß, übernahm er automatisch und legal den Nachnamen des neuen Rudels. Dadurch war es möglich, unterschiedliche Rudel derselben Fellfarbe auseinanderzuhalten.
Weil wir zusammen wohnten, hielten uns die meisten in der Abteilung für ein Paar. Wir widersprachen diesem Eindruck nicht, weil es die Sache für uns wesentlich vereinfachte. Sicher, wenn sie mehr über Rhoan gewusst hätten, wäre ihnen aufgefallen, wie unwahrscheinlich ihre Vermutung war. Was Jack über uns dachte, wusste ich nicht genau. Er hatte nie etwas über uns zwei gesagt und mich nie nach unserem Verhältnis gefragt. Er tat so, als würde es ihn sowieso nicht interessieren. Doch nachdem ich seit sechs Jahren für ihn arbeitete, wusste ich, dass das keineswegs der Fall war.
»Du weißt doch, dass Werwölfe ein Gespür dafür haben, wenn ein Mitglied ihres Rudels in Schwierigkeiten steckt.« Er nickte nur. »Nun, es geht mir
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