Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
gehen oft ins Kino. Entweder dienstags oder samstags. Diese Kinotage sind mir heilig! Meiner Mutter auch. Nur haben wir leider einen unterschiedlichen Geschmack, aber irgendwie einigen wir uns am Ende doch immer. Meine Mutter liebt Filme für Frauen, die einen zum Heulen bringen, mit Geschichten, die eins zu eins aus dem wirklichen Leben stammen könnten.
Wenn ich mein eigenes Leben sehen will, muss ich nur in den Spiegel schauen.
Ich mag lieber lustige Filme. Da bin ich der beste Kunde. Oder Action-Filme. Die finde ich zwar oft gruselig und unglaubwürdig, aber wenigstens lenken siemich von meinem Alltag ab. Mein Lieblingsschauspieler ist übrigens Will Smith. Und Robert de Niro. Und José García. Und Alain Chabat. Aber am allergrößten finde ich Jamel Debbouze. Den liebe ich! Er ist lustig und hat vor nichts Angst. Egal, wer ihm in einer Fernsehshow gegenübersitzt, zum Beispiel ein Politiker, er führt ihn vor, aber so, dass alle es lustig finden. Sogar der Politiker lacht mit. Na gut, Politiker sind darauf getrimmt, so zu tun, als würden sie sich amüsieren. Jamel Debbouze würde ich gern mal kennenlernen. Vor allem, um mich bei ihm zu bedanken. Es gibt Menschen, denen muss man einfach danke sagen. Menschen, die einen zum Lachen bringen.
Meine Mutter mag Gérard Depardieu. Clint Eastwood. Catherine Deneuve. Dustin Hoffman. Meryl Streep. Jean-Louis Trintignant. Jean-Pierre Bacri. Aber ihr Superstar ist Daniel Auteuil. Oh, wie sie Daniel Auteuil vergöttert. Sie verpasst keinen seiner Filme. Und somit ich auch nicht. Sie findet ihn schön, was ich nicht begreife. Ich mag ihn ja auch, aber mir deswegen gleich die Pulsadern aufzuschneiden fände ich ein bisschen übertrieben.
Der Lieblingsfilm meiner Mutter ist
Die Brücken am Fluss
. Den kann sie hundert Mal am Tag sehen, und jedes Mal heult sie wie ein Schlosshund dabei. Und zwar immer an derselben Stelle, als die Frau und ihr Ehemann in ihrem klapprigen Auto sitzen, und hinter ihnen, in einem anderen klapprigen Auto, sitzt der Mann, den sie eigentlich liebt und der ihr Geliebter ist. Sie zögert lange, ob sie zu ihm gehen soll, sie hat schon die Hand auf den Griffder Autotür gelegt. Aber dann tut sie es doch nicht, sie bleibt bei ihrem Ehemann, der im Grunde ein anständiger Mensch ist. Und der andere Mann im anderen Auto, der auch ein anständiger Mensch ist, sieht es ein und fährt los, und am Ende sind sie alle tot. Meine Mutter bricht in Tränen aus und sagt, dass es schrecklich ist, sie lieben sich doch, dass die Liebe furchtbar sein kann. Was mich viel mehr fertigmacht, ist, dass meine Mutter jedes Mal, wenn die Frau ihre Hand auf den Griff legt, laut aufschreit:
»Los … Los … Geh zu ihm!«
Wir haben den Film hundert Mal gesehen und wissen genau, dass sie es nicht tun wird, aber meine Mutter schreit trotzdem immer, als wäre sie nicht ganz dicht.
Mein Bruder Henry ist ein echter Experte in Sachen Kino, und meine Lieblingsfilme kenne ich alle durch ihn. Eines Tages kam er mit einer Box voller Filme von Charlie Chaplin nach Hause. Erste Sahne. Schon dass er so heißt wie ich, gefällt mir. Anfangs hatte ich keine große Lust, mir das anzusehen, es klang sterbenslangweilig. Doch dann setzte ich mich zu Henry ins Wohnzimmer. Sie kennen bestimmt
Goldrausch
. Und
The Kid
. Es gibt nichts Besseres! In
Goldrausch
hat er so sehr Hunger, dass er seine Schuhe isst. Seinem Kumpel knurrt auch der Magen, er hat schon Halluzinationen und sieht in Charlie Chaplin ein großes Huhn, das er zu fressen versucht. Henry und ich haben uns so totgelacht, dass uns am Ende die Tränen übers Gesicht gelaufen sind. Zur selben Zeit mussten wir in der Schule einen Aufsatz schreiben, ich weißnicht mehr, über welches Thema, ich habe jedenfalls über die Filme von Charlie Chaplin geschrieben. Daraufhin hat die Lehrerin mich gebeten, die Filme mitzubringen, damit wir sie uns alle zusammen ansehen könnten. Ich war total stolz! Und als wir sie dann tatsächlich im Unterricht angeschaut und alle gelacht haben, hatte ich fast das Gefühl, es wären meine Filme! Auf die Arbeit von jemand anderem stolz zu sein – das hat was.
Wie gesagt, ich war also mit meiner Mutter ins Kino gegangen, und ich fand den Film total daneben.
Wir sehen uns übrigens immer die Spätnachmittagsvorstellung an. Um sechs Uhr. Oder um sieben. Danach kann man noch essen gehen. Gegenüber vom Kino gibt es nämlich zigtausend Restaurants. Französisch. Italienisch. Chinesisch. Japanisch. Sogar
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