Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
amerikanische Küche gibt es, bei McDonald’s nämlich. Am liebsten mag ich das japanische Lokal. Die Japaner sind wirklich irre. Waren Sie schon mal Sushi essen? Mit Stäbchen? Schaffen Sie das, mit Stäbchen? Meine Mutter und ich kriegen uns immer gar nicht mehr ein vor Lachen, weil wir uns so dämlich dabei anstellen. Die Stäbchen kann man auch mitnehmen, wenn man möchte. Einmal hab ich es getan und eine Woche lang zu Hause ausschließlich damit gegessen. Glauben Sie mir, wenn Sie jetzt mit mir Sushi essen gehen, werden Sie mich für einen waschechten Japaner halten. Mein Bruder Henry hat mir erzählt, dass es in Paris ganz viele Restaurants gibt. Aus allen möglichen Ländern. Es gibt sogar ganze Viertel nur mit japanischen Restaurants.Oder italienischen. Chinesischen. Französischen. Das muss toll sein. In Paris war ich nur ein einziges Mal.
Es hat mich umgehauen.
Als meine Mutter und ich aus dem Kino kamen, überlegten wir, in welches Restaurant wir gehen sollten. Nicht unbedingt ganz einfach, weil man ja nicht immer auf dasselbe Lust hat. Was dann den Ausschlag gegeben hat, war, dass Mélanie Renoir mit ihrer Mutter ebenfalls aus dem Kino kam und die beiden in ein japanisches Restaurant gingen.
Ich sagte zu meiner Mutter:
»Zum Japaner, zum Japaner!«
»Aber da waren wir doch erst letzten Samstag.«
»O bitte, bitte!«
»Das ist teuer, Charly.«
»Ich flehe dich an!«
Ich flehe dich an
sage ich, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Vielleicht werde ich das auf meinem Totenbett sagen. Es ist mein letztes Wort. Damit kann ich sie umstimmen. Und meine Mutter weiß es auch. Aber ich sage es nicht zu oft, damit es etwas Besonderes bleibt, und bestimmt wirkt es genau aus dem Grund.
Wir gingen also zum Japaner, und ich jubelte innerlich. Mélanie Renoir war im Restaurant. Nicht auszudenken: Ich hätte daran vorbeigehen können, ohne es zu ahnen, um womöglich im Restaurant nebenan zu landen! Aber ich bin ein Glückspilz, das habe ich schon immer geahnt.
Im Restaurant bin ich dann plötzlich ziemlich nervös geworden, habe angefangen, auf meinen Fingern herumzukauen und so. Ich hielt ganz unauffällig Ausschau nach Mélanie und ihrer Mutter, was wegen all der Nischen, Säulen und Pflanzen gar nicht einfach war. Der Kellner bat uns, ihm zu folgen. Während wir den Raum durchquerten, verdrehte ich weiterhin den Kopf nach ihr und befürchtete schon, dass sie wieder hinausgegangen wäre, ohne dass ich sie gesehen hatte. Wir wurden an einen Zweiertisch im hinteren Teil des Restaurants gesetzt. Dort bekam ich dann eine Herzattacke, weil Mélanie und ihre Mutter direkt am Nebentisch saßen, sprich: in drei Zentimetern Entfernung! Ich konnte mein Glück nicht fassen! Zuerst traute ich mich gar nicht aufzusehen. Ich habe den Kopf in der Speisekarte vergraben und so getan, als hätte ich sie überhaupt nicht bemerkt. Im Übrigen war ich mir nicht mal sicher, ob sie sich an mich erinnerte. Wir hatten ja nur ein einziges Mal in der Kantine miteinander gesprochen, und das war nicht unbedingt romeoundjuliamäßig gewesen. Ich ließ die Speisekarte sinken und sah meine Mutter mit breitem Lächeln an. Als wäre ich fünfundvierzig und wir wären ein Paar. Der nächste Satz meiner Mutter warf mich allerdings komplett aus der Bahn:
»Binde dir die Serviette um.«
Ich bin vor Scham im Boden versunken.
Wenn wir ins Kino gehen, ziehe ich immer ein schönes sauberes Hemd an, und meine Mutter will nicht, dassich es mit Sushi oder irgendeinem Zeugs schmutzig mache.
Dann haben wir über den Film gesprochen. Als wir aus dem Kino gekommen waren, hatte ich meiner Mutter lauthals verkündet, dass ich den Film scheiße fand und mindestens fünfzehn Mal eingeschlafen bin. In Mélanies Beisein hörte sich das allerdings ganz anders an:
»Nein, weißt du, ich finde es natürlich schon ganz interessant, wie sie hier die Zeit eingesetzt haben … Diese langen Einstellungen, meine ich. Die zwingen einen, das zu sehen, was man … was man im wirklichen Leben nicht unbedingt sieht. Das ist sozusagen ein Anti-Chaplin-Film …«
Meine Mutter hat mich angesehen wie ein Fragezeichen, und auch ich habe nichts von dem verstanden, was ich da faselte. Was zog ich da nur für eine Nummer ab. Als wäre ich ein Vollidiot. Aber ich konnte mir nicht helfen.
Zum Glück war meine Mutter da und holte mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
»Als wir rauskamen, sagtest du: ›So eine Scheiße.‹«
»Schon … aber … weißt du, auch
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