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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
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Scheiße kann ja manchmal sehr interessant sein …«
    Ich glaub, ich muss wirklich mal zum Arzt, so kann es unmöglich weitergehen.
    Der Kellner kam, um unsere Bestellung aufzunehmen, und wie ein Bekloppter witterte ich schon wieder eine Möglichkeit, aufzuschneiden. Die Kellner in diesem Restauranthaben nämlich Namensschilder an ihren Jacken. Und ich hatte mir, gleich als ich den Typ kommen sah, vorgenommen, ihn mit seinem Namen anzusprechen.
    »Haben Sie schon gewählt?«
    »Ja, mein lieber … Ry… Ryko.«
    »Nein, Rychuko.«
    »Rydchko.«
    »Nein, Ry-chu-ko.«
    Wie peinlich! Und dann war der Kellner auch noch unsympathisch, damit ich nämlich so richtig in der Tinte saß, fügte er noch hinzu:
    »Soll ich für den Kleinen die Kinderkarte bringen?«
    Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Gerne hätte ich in diesem Augenblick
Ich flehe dich an
gehaucht und wäre dann gestorben.
    Meine Mutter freut sich immer wie ein Schneekönig, wenn wir zusammen sind. Sie mag es, wenn wir uns aus unserem Leben erzählen. Normalerweise mag ich das auch, aber an dem Tag war ich wie gelähmt, ich sah meine Mutter an, aber mein Gehirn wanderte nach links, zu Mélanie. Heimlich begann ich ihr Blicke aus dem Augenwinkel zuzuwerfen. Und jedes Mal blieb mir das Herz beinahe stehen. Mélanie war sehr ruhig, sie saß ihrer ebenso ruhigen Mutter gegenüber. Sie wirkten, als hätten sie sich zum Teekränzchen verabredet. Mélanie muss so alt sein wie ich, aber im Kopf ist sie fünfzig Jahre älter.
    Ich muss Ihnen etwas gestehen.
    Ich mag ältere Frauen.
    Ich erzähle das nicht so oft, weil man mich sonst noch für einen Perversen oder so hält. Die Wahrheit ist, ich stehe auf ältere Frauen, die Klasse besitzen. Damit meine ich nicht Achtzigjährige. Auch keine Vierzigjährigen. Ich rede von Mädchen, die erwachsen wirken. Und die sind rar gesät, das können Sie mir glauben. Nehmen wir zum Beispiel die Mädchen aus dem Abschlussjahrgang in meiner Schule. Die könnten mir theoretisch gefallen. Aber nein. Die sind zwar älter, benehmen sich jedoch wie Riesenbabys, das ist echt frustrierend. Sie leben rückwärts gewandt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich mag lieber Mädchen, die nach vorn blicken. Die das gelesen haben, was man selbst nicht gelesen hat. Die Musik lieben, die man selbst nicht kennt. Die einen ein Land entdecken lassen, das sie bereits kennen. Meine Frau wird einmal älter sein als ich, das schwöre ich Ihnen!
    Und auch größer.
    Plötzlich spürte ich, wie Mélanies Mutter mich unverwandt ansah. Ich hatte nur hastig hinübergesehen, um die Lage zu checken, und da sprach sie auch schon meine Mutter an:
    »Guten Tag, Catherine Renoir, meine Tochter hat mir erzählt, dass unsere Kinder dieselbe Schule besuchen.«
    Ich war platt.
    Am liebsten hätte ich mir ein Stäbchen ins Herz gebohrt.
    Dass Mélanie wusste, wer ich war, machte mich auf zehn Jahre im Voraus stolz.
    Zum Glück reagiert meine Mutter in solchen Momenten immer total locker.
    »Guten Tag, Joséphine Traoré … Und du, wie heißt du?«
    »Mélanie.«
    Meine Mutter sprach mit meiner Traumfrau. Diejenige, die mich auf die Welt gebracht hatte, fragte diejenige, die mich umbrachte, nach dem Vornamen. Und als Mélanie
Mélanie
sagte, fügte ich in meinem Kopf gleich
ich liebe dich
hinzu.
    Was ich dann weniger gelungen fand, war, dass meine Mutter, als sie mich vorstellte, sagte:
    »Mein Sohn, Charles.«
    Meine Mutter nennt mich den lieben langen Tag Charly, aber jedes Mal, wenn sie mich vorstellt, sagt sie Charles. Und wenn sie mit mir schimpft, nennt sie mich Charles. Oder wenn sie mit einem Lehrer über mich spricht. Ich weiß nicht, ob es Ihnen vielleicht auch aufgefallen ist, aber Eltern sind immer superstolz auf den Vornamen, den sie für einen gefunden haben. Und auf das, was ihnen im Augenblick der Namensfindung so durch den Kopf geht, ist nur sehr bedingt Verlass. Das kann dein ganzes Leben verändern. Wenn sie gerade Mozart hören, stehen die Chancen gut, dass sie dich Wolfgang und so nennen. Und selbst wenn sie einen coolen Spitznamen wie Wolf finden, wird der Wolfgang Sie verfolgen.
    Dann stellte mir Mélanies Mutter Fragen:
    »Gehst du gern zur Schule?«
    »Ja.«
    »Und was magst du am liebsten?«
    »Hm … Französisch, glaube ich … Aufsätze.«
    Meine Mutter warf ein:
    »Beim letzten Mal hat er achtzehn Punkte bekommen!«
    Muss meine Mutter jetzt auch noch mit dem Angeben anfangen.
    »Weißt du schon, was du mal werden willst?«
    »Hm

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