Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
nämlich einen Dealer über den Haufen geschossen hätte …«
Karim spürte, dass er irgendwie ins Fettnäpfchen getappt war.
»Tut mir leid, Charly, ich hab das nicht auf deine Mutter bezogen. Das ist nur so eine Geschichte. Deine Mutter ist super!«
»Ja, schon okay …«
Yéyé, die Nervensäge, wollte aber noch nicht lockerlassen.
»Und wer sagt dir, dass deine Mutter nicht tatsächlich einen Dealer umgelegt hat?«
Beinahe wäre ich ausgerastet, aber dann dachte ich kurz nach über das, was Yéyé gerade gesagt hatte. Es stimmte, meine Mutter ging immer auf die Barrikaden, wenn sie einen Dealer witterte. Sobald sie bei uns im Viertel einem begegnete, wurde sie plötzlich eiskalt. Da gab es kein Guten Tag mehr oder sonst was, obwohl sie diese Typen schon gekannt hatte, als sie noch ganz klein waren. Für sie sind es Mörder. Sie vergiften meinen Jungen, hat sie mal gesagt. Und dann fiel mir ein, dass ich heute Morgen niemand vor dem Malraux-Turm gesehen hatte … Obwohl, der Hausmeister hatte ja gesagt, es wäre noch zu früh gewesen.
»Und wie, bitte schön, sollte sie einen Dealer umbringen?«
»Hm … Weiß nicht … Vielleicht mit einem Messer? Oder mit Gift … Oder mit einem chinesischen Säbel …«
Stundenlang hat Yéyé mögliche Todesarten aufgezählt, bis Nicolas ihm ins Wort fiel.
»Also ehrlich, Charly, ich glaube nicht, dass deine Mutter jemanden umbringen würde. Auch wenn sie die Typen hasst und so. Um jemanden abzumurksen, muss man schon eine ganz schöne Schramme haben …«
Kader fügte hinzu: »Stimmt, und außerdem würde sie dir so etwas nie antun … Es reicht ihr ja schon, wie es um deinen Bruder steht, da würde sie nicht riskieren, in den Knast zu wandern und dich ganz allein zurückzulassen!«
Sie hatten recht. Meine Mutter ist die klügste Person, der ich je in meinem Leben begegnet bin.
Auch Karim pflichtete bei: »Nein, deine Mutter bringt keine Dealer um, bestimmt nicht … Trotzdem wäre es wahrscheinlich das Beste, wenn du erst mal untertauchst.«
»Wie meinst du das?«
»Na, die Bullen suchen dich bestimmt auch. Sie fangen bei deiner Mutter an, dann kommt dein Bruder, und dann …«
Ich spürte, wie mir das Herz in die Hose rutschte.
»Du solltest lieber nicht mehr nach Hause gehen. Lauf noch ein bisschen rum, und dann treffen wir uns nach dem Unterricht. Bestimmt haben wir dann mehr Infos … Wenn die Bullen dich suchen, erkundigen sie sich mit Sicherheit auch in der Schule …«
»Okay. Aber ich versuche trotzdem, meinen Bruder zu finden.«
»Hast du schon am Malraux-Turm geguckt?«
»Ja, aber da war niemand.«
»Geh mal rüber zum Berlioz-Turm, in der Gegend hab ich ihn auch schon öfter abhängen sehen.«
»Hm, ist gut.«
Yéyé, der schon wieder völlig neben der Spur war, sagte: »Kommst du heute Abend zum Training?«
»Was für’n Training?«
»Na, zum Fußballtraining.«
Ehrlich gesagt hatte ich das total vergessen.
»Ich hab meine Sachen nicht dabei.«
»Was für ’ne Schuhgröße hast du?«
»35.«
»Mist, ich hab 39.«
Yéyé hat wirklich riesige Füße. Aber er ist ja auch älter als ich.
Es klingelte wieder, die Pause war zu Ende. Wir guckten uns alle ziemlich betreten an. Ich muss hinter dem Gitter ungefähr so erbärmlich wie ein ausgesetzter Hund gewirkt haben.
»Ich warte dann um vier vorm Ausgang«, sagte ich.
Wir schlugen ein, sie zogen los, und ich blickte ihnen nach. Nur Brice stand noch bei mir am Gitter.
Warum hatte er nichts zu der Sache mit meiner Mutter gesagt? Er war doch der Intelligenteste, und ich hatte so gehofft, dass ihm vielleicht etwas Kluges einfallen würde.
»He, Charly … Ich … ich wollte dir sagen … Ich weiß, dass meine Mutter letztes Jahr im Gefängnis war.«
»Wie?«
»Genau … Ich hab dir ja erzählt, dass sie in einer Bar im Süden arbeitet …«
»Und?«
»Na ja, das ist eine seltsame Bar … Sie trifft sich da mit fremden Männern …«
»Mit fremden Männern?«
»Genau … Mit Typen, die ihr Geld geben, damit sie mit ihnen ins Bett geht.«
»Aber dann ist sie ja …«
»Eine Nutte, ja … Aber sie schickt uns immer Geld, meiner Großmutter und mir. Normalerweise besuche ich sie im Sommer, sie mietet dann ein kleines Appartement am Meer … Aber letzten Juni hat meine Großmutter zu mir gesagt, dass ich Maman diesmal nicht besuchen könnte, weil sie noch arbeiten müsste. Das fand ich komisch, weil ich doch weiß, dass meine Mutter alles täte, um den Sommer mit mir zu verbringen.
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