Ring frei fuer die Liebe
zu heulen hatte sich inzwischen in das Bedürfnis zu schreien verwandelt. Abgesehen von der Tatsache, dass ihr Verhältnis war wie das zwischen Süd-und Nordkorea, waren sie hier in tropfnassen Klamotten im Nirgendwo gestrandet.
War das im Film nicht immer der Moment, in dem der gut aussehende Held feststellte, dass die nassen Kleider der Hauptdarstellerin ihre fantastischen Brüste betonten, und sie zu einer leidenschaftlichen Nacht ins Bett trug? Nicht, dass sie auch nur eine Sekunde dachte, er könnte sie attraktiv finden – schließlich zählte seine Freundin offiziell zu den fünf hübschesten Reality-Stars –, aber sie musste trotzdem klarmachen, dass dies keine klassische Kuschelnummer für ihn wurde, falls er vielleicht doch einen Hauch von Interesse hatte.
»Bin sofort zurück«, murmelte sie und verschwand die Holztreppe hinauf.
Sie kam in einem ausgeleierten Pulli zurück, von dem ihr Vater sich einfach nicht trennen konnte, auch wenn er ausgefranst war und nach Fisch roch. Zac warf sie eine Jogginghose und ein Sweatshirt zu. Beide Teile gehörten Simmy, was den Vorteil hatte, dass sie aus den letzten fünf Jahren stammten. Und nicht nach Fisch stanken.
»Netter Pulli«, bemerkte er.
»Ich bin in den nächsten fünf Minuten in der Küche. Du kannst dich also in Ruhe umziehen.«
In der gemütlichen Landhausküche durchsuchte Talli die restlichen Schränke und die Speisekammer. Sie wurde immer hungriger, schließlich hatte sie seit mittags nur einen Schokoriegel gegessen. In der Kühltruhe fand sie dann doch noch einen Laib Brot, den sie zum Auftauen in die Mikrowelle legte. Außerdem entdeckte sie ein großes Glas Erdbeermarmelade und ein Glas Erdnussbutter. Genau ihre Vorstellung von einem perfekten Fünf-Gänge-Menü. Als das Brot aufgetaut war, stellte sie alles auf ein Tablett und wagte sich zurück auf den Weg in das feindliche Territorium.
Am Türrahmen zum Wohnzimmer blieb sie abrupt stehen. Kleine Markierungen waren in das Holz geritzt, die mit Namen versehen waren. Simmy, 10 Jahre. Desdemona, 13 Jahre. Ein Stück tiefer Tallulah, 8 Jahre. Wehmut überkam sie. Sie hing so sehr an diesem Haus. Viel mehr als an ihrem Stadthaus in Chelsea und viel mehr als an ihrem Landhaus in der Provence. Dies hier war der Ort, an dem sie sich richtig zu Hause fühlte.
»Sag bloß nichts«, warnte Zac sie, als sie sich von hinten näherte.
Erst als sie vor ihm stand, wurde ihr klar, was er meinte. Die Trainingshose war ein gutes Stück zu kurz, das T-Shirt viel zu weit. Und mitten auf der Brust prangte ein Spruch: ICH BIN NICHT DICK – UNTER MIR STECKT EIN WASSERBALL.
»Ich schwöre dir, wenn du das Tablett auf meinen anderen Fuß fallen lässt, verklage ich dich.«
Gott, das war unfassbar! »Ich sage ja gar nichts«, versprach sie. »Aber du solltest sicherheitshalber beim Schlafen ein Auge offen halten, weil ich natürlich darauf brenne, ein Foto von dir zu machen und es an Lena zu schicken, damit sie es in alle Welt twittert. Ich schätze, deine Eltern würden dich auf der Stelle enterben.« Sie kicherte.
»Dazu ist es zu spät«, antwortete er und griff nach einem Stück Marmeladenbrot.
Talli stöhnte. »Oje, hab ich jetzt wieder was Falsches gesagt?«
»Nein nein, alles okay«, antwortete er. »Keine große Sache … ich habe nur keine Eltern, die mich enterben könnten.«
»O nein.« Talli stöhnte. Wieso konnten sie sich nicht ein einziges Mal ganz normal unterhalten, ohne dass es zu Beleidigungen, Missverständnissen oder Verletzungen kam? »Es tut mir leid, das wusste ich nicht.«
»Mach dir keinen Kopf. Lena und Minx halten es absichtlich aus der Presse heraus, daher kennt niemand unsere Familiengeschichte. Es ist okay, wirklich«, versicherte er ihr kauend. »Wenn du Dot kennen würdest, wüsstest du auch, warum.«
Die dicke Schicht Erdnussbutter auf der Marmelade drohte herunterzurutschen, weil sie sich nur auf ihn konzentrierte.
»Wer ist denn Dot?«
Zwei Stunden und eine Flasche Rotwein später wusste Talli alles.
»Deine Tante Dottie wird mir sicher große Vorwürfe machen, weil ich deinen Zeh zertrümmert habe.« Bildete sie sich das nur ein, oder lallte sie ein bisschen? Sie griff hinter sich und knuddelte das Kissen unter ihrem Kopf neu zusammen.
»Könnte sein. Vielleicht solltest du mal schauen, ob du bei Ebay eine kugelsichere Weste findest. Die Investition dürfte sich lohnen. Aber jetzt erzähl mal von deiner Familie. Dein Dad scheint jedenfalls ein netter Typ zu sein.
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