Ringkampf: Roman (German Edition)
Erschraubte, drehte und würgte den Streifen, als gelte es, Laokoon den Schlangen doch noch zu entwinden. Cora drückte genüßlich ihre Zigarette aus. Gegen ihren Willen mußte sie lächeln. Für eine Sekunde spiegelten Alexander Ravens Augen ihr Lächeln wider, dann flohen sie zu dem Geschehen auf der Szene.
Mit der ungelenk-widerwilligen Unterstützung des Assistenten hatten sich die Sängerinnen auf ihre zugewiesenen Schaukeln gehievt. Elisabeth Raven-Winterfeld hielt sich stocksteif. Nicht die kleinste Regung am Regietisch entging ihren Blicken. Helga Härtel ließ ihre stämmigen Waden kreisen. Anna Santner blickte mit flatternden Lidern unter sich.
»Alexander«, zirpte diese zarteste der drei Frauen, »Alexander, das wird doch nachher auf der Bühne nicht noch höher? Ich glaube, damals war das nicht so hoch.«
»Anna, du weißt doch, daß ihr so hoch hängen müßt, damit Alberich eure Schaukeln nicht berühren kann und eure Beine – pardon: ich meine natürlich Schwänze – nur, wenn ihr sie herunterhängen laßt.« Der Regisseur versuchte, die Furcht der Sängerin wegzuscherzen. »Du willst doch nicht etwa in den niederen Gefilden herumdümpeln, wo dich dieser Schwefelzwerg nach Lust und Laune begrabschen kann, oder?«
Der ironische Ton schlug nicht an. Anna Santner klammerte sich noch fester an die beiden zentimeterdicken Stahltaue. »Ich glaube nicht, daß ich so singen kann«, flüsterte sie mit ersterbendem Sopran.
Reginald trat einige Schritte zurück, damit die Sängerin im Falle einer Ohnmacht nicht auf ihn stürzte.
Die Dramaturgin senkte ihren Blick. Bei den Hieroglyphen im Regiebuch war ihr wohler als bei den Frauenpsychen auf der Probebühne.
Alexander Raven setzte das sedierende Lächeln auf, das er in jahrzehntelanger Praxis eigens für komplizierte Sängerinnen entwickelt hatte. »Anna, ich weiß genau, daß du wunderbar singen wirst. Ich kann mich noch sehr gut erinnern: Du bist da oben das letzte Mal wie eine Trapezprinzessin rumgeschwebt.«
Wellgunde kicherte entwaffnet.
»Bei euch beiden ist alles in Ordnung«, fragte der Regisseur vorsichtshalber die anderen Damen. Sie nickten.
»Sehr gut, dann können wir ja anfangen.« Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf und legte die Fingerspitzen
aneinander. »Ich erkläre euch vielleicht noch mal ganz kurz, worauf es mir bei dieser Szene ankommt. «
Das Summen der Deckenbeleuchtung verstärkte die Stille, die sich in dem weiten Raum aufgespannt hatte. Der Regisseur tupfte seine Worte in ein weißes Rauschen hinein. »Was wir jetzt erleben, hierin dieser Szene, ist nicht einfach irgendein Anfang. Es ist mehr als das. Es ist sozusagen die Geburt der Tragödie. Versteht ihr? Der Riß, der immer schon durch die Natur geht, sprengt sich hier zum Abgrund auf. Wirsehen zu Beginn die Begierde und ihre Objekte. Alberich und die Rheintöchter. Alberich kann nicht anders: Er muß die Rheintöchter wollen. Und die Rheintöchter können auch nicht anders: Sie müssen Alberichs Begierde anstacheln. Aberihre Natur läßt sie nur verführen, um sich zu entziehen. Das ist der ewige Widerspruch.« Alexander Ravens Blick glitt in die Ferne. »Die Begierde muß leer ausgehen, um Begierde zu bleiben. Die Tragödie bricht an dem Punkt auf, an dem Alberich die Entsagung nicht länger erträgt. Die erotische Begierde schlägt um in Machttrieb. In einen Machttrieb, der seine totale Erfüllung erpressen will. Alberich gerät bis zu dem Punkt, an dem er die Liebe für immer verflucht. Und nur damiterlangt er ja die Kraft, das Rheingold zum Ring zu schmieden. Das ist die bittere Ironie dieser ganzen Geschichte: Das Gold, das am Anfang, wenn die Rheintöchterdamit spielen, Symbol der unschuldigen, zweckfreien Natur ist, wird von Alberich zum Instrument der absoluten Gewaltherrschaft verbogen.«
Der Regisseur holte seinen Blick ins Diesseits zurück. Der Reihe nach betrachtete er die drei Frauen, die ihm
aufmerksam zugehört hatten. »Also, es ist wahnsinnig wichtig, daß wir genau diesen Wendepunkt richtig aufbauen. Wir müssen die erotische Spannung zwischen euch und Alberich bis zur Unerträglichkeit zuspitzen. Ihr könnt gar nicht aufregend, lasziv genug sein, ja? Jeder, der diese Szene mitansieht, muß spüren: Die Katastrophe ist unausweichlich, es wird hier gleich eine riesige Entladung geben. Wenn Alberich seine letzten Phrasen singt, da soll nicht nur bei ihm die Hose platzen. «
Während Teile des Damentrios kicherten, fingerte der Regisseur
Weitere Kostenlose Bücher