Ringkampf: Roman (German Edition)
»Was soll ich ihm sagen?« Seine Stimme klang ebenso hart wie sein Anschlag auf dem Klavier.
Alexander Raven trommelte nervös mit den Fingern. »Sagen Sie ihm, er soll von rechts auftreten, erst mal an der Seite bleiben und sich dann an die drei Frauen ranmachen. Alles weitere sehen wir später.« Erspuckte seinen Kaugummi aus und ballte die Faust.
Ivan Jouvain wandte sich in Russisch an den Sänger, der während der vorangegangenen Wortwechsel noch immer keine Muskelfaser bewegt hatte. Der junge Mann nickte militärisch.
»Können wir dann bei seinem Auftritt anfangen?« Alexander Raven knüllte leere Silberpapiere zusammen.
Der Korrepetitor ließ seine Finger durch die markanten Sechzehntel-Achtel-Motive hinken. Slawomir Wolansky hielt mit kehligem Bariton dagegen. »Hehe! Ihr Nicker« , sang er. »Wie seid ihr niedlich, neidliches Volk! Aus Nibelheims Nacht naht ich mich gern, neigtet ihr euch zu mir!«
»Zum Teufel, was macht der denn da? Das darf doch nicht wahr sein!« Alexander Raven versagte die Stimme.
Der Sänger war mit drei Ausfallschritten zu Anna Santner gestürzt und hatte diese an den Knöcheln gepackt. Er schüttelte ihre Beine, als wolle er unter dem leichten Sommerrock vermutete Maikäfer ernten. Die Sängerin strampelte und schrie.
»Das ist ja Wahnsinn! Nackter Wahnsinn! «Fassungslos
starrte der Regisseur auf die Szenerie. »Um Gottes willen! Ich kann nicht mitansehen, was der da treibt. Hat dieser Typ jemals in seinem Leben auf einer Bühne gestanden?«
Coras Lethargie war plötzlich verflogen. »Vielleicht entspannt er sich, wenn wir die Rheintöchter mit drei Tölzer Sängerknaben besetzen«, sagte sie nachdenklich.
7
Wie die meisten Theaterkantinen, so besaß auch die Frankfurter Opernkantine den Charme einer Dorfkneipe im Luftschutzkeller. Der neue, eitergelbe Wandlack unterstrich das Bunkergefühl, vermochte den urigen Grundcharakter dieses Ortes jedoch nicht zu überdecken.
Die Dramaturgin betrachtete die belegten Brötchen, die sich auf der Reserveplatte neben der Küchendurchreiche langweilten. Sie war kurz davor, aus Mitleid eines zu bestellen. Einer der fossilen Frikadellen hatte sich Cora bereits erbarmt. Sie wollte gerade ihr Tablett vom Tresen heben, als sich eine rostige Stimme in ihren Rücken bohrte. »Mensch, Mädchen. Alt biste geworden. «
Cora fuhr herum. Ihr Blick signalisierte Mord. Unschuldige Bühnenarbeiter und Musiker fielen um wie Fliegen. Einzig ein kleines Weiblein mit dem Gesicht einer Dörraprikose lächelte, als die eisblauen Augen es trafen.
Die Züge der Dramaturgin erwärmten sich schlagartig.
An der frisch gewichsten Plastikbegrünung vorbei stürmte sie auf die höhergelegene Raucherzone zu.
»Elli, altes Wrack!« Cora zog die angegraute Frau von ihrem Stuhl und drückte sie an sich.
»Sachte, Mädchen, sachte«, schnaufte diese zwischen den Brüsten der Dramaturgin. »Wär zwar ein schöner Tod, aber vielleicht warten wir damit noch ein bißchen.«
Lachend ließ Cora sie los. »Ich habe dich schon vermißt. Ich wagte gar nicht mehr zu hoffen, daß es dich noch gibt.«
»Wenns nach denen da oben ginge, gäbs mich auch nicht mehr.« Elli Schubert fingerte ihre Silberlöckchen zurecht, die bei dem herzlichen Angriff in Unordnung geraten waren. »Haben vor einem Jahr beschlossen, daß Souffleusen überflüssiger Luxus sind. Sehen kann man sie vom Zuschauerraum aus sowieso nicht, und wenn man sie dort hört, isses ein schlechtes Zeichen – also weg damit.«
»Wie bitte? Die haben dich rausgeschmissen?«
Die Souffleuse schnaufte. »Bellini hat mir großzügig angeboten, als Pförtnerin zu arbeiten, das gottverdammte Arschloch. — Wird ja sehen, wo er ohne mich bleibt. Ich sage dir: Wotan hat noch nicht Vollendet das ewige Werk gesungen und schaut schon verzweifelt zu meinem Kabuff. Aber da ist dann nur noch ein schwarzes Loch. — Na ja. Die Schnösel im Parkett merkens ja sowieso nicht, wenn der Kerl drei Abende lang Wawawa singt. Können die Bankersgattinnen in der Pause wenigstens beweisen, daß sie nicht umsonst Germanistik studiert haben, und was über Wagners Lautmalerei erzählen.« Die Souffleuse senkte den Blick auf ihre überdimensionale Lesebrille, die am neongrünen Band vor ihrem Busen ruhte.
Cora hatte sich gesetzt. »Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, warum wir ohne Souffleuse probieren.« Sie ließ die Frikadelle über den Teller kullern. »Und was machst du jetzt?«
»Hab ich doch schon gesagt.« Die alte Dame
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