Ringkampf: Roman (German Edition)
großen Seele hat sich bewährt. Unerschrocken und kompromißlos haben Sie unserer Stadt in einer Zeit beigestanden, die seit den Nachkriegsjahren wohl ihre schwärzeste war. Obgleich das Opernhaus verwüstet lag, haben Sie keine Sekunde gezögert, Ihr Amt als Intendant dennoch anzutreten. Trotz bisweilen widrigster Bedingungen haben Sie — während all der Jahre des mühsamen Wiederaufbaus – den Glauben in Ihre Mission nie verloren. Ohne jemals zu wanken, wahrhaft unermüdlich haben sie dafür gekämpft, daß die Oper in dieser Stadt nicht verstummt. Der verheerende Brand, der uns sprach- und mutlos machte: Ihren Willen, Ihre Entschlossenheit hat er angefacht. Das sinnlose Verbrechen, welches das kulturelle Leben unserer Stadt mitten ins Herz traf: Ihren Enthusiasmus, Ihre Begeisterung konnte es nicht töten. Woran uns die Geschichte schon so oft zweifeln, ja verzweifeln ließ: Sie haben gezeigt, daß die Flammen der Schönheit und der Passion die Flammen der Barbarei zu besiegen vermögen.«
Wogen der Begeisterung schlugen über Lobendem und Gelobtem zusammen.
»Ich glaube, jeder in diesem Saal wird mir zustimmen, daß wir es in erster Linie Ihrem unbeirrbaren menschlichen und künstlerischen Engagement verdanken, wenn wir in wenigen Wochen die Wiedereröffnung der Oper Frankfurt erleben. Gestatten Sie mir deshalb, Ihnen im Namen des Magistrats, der Stadtverordnetenversammlung
sowie des Patronatsvereins der Oper Frankfurt dieses bescheidene, symbolische Geschenk als Zeichen unserer tiefen Dankbarkeit zu übermitteln. «
Die Flügeltüren des Bankettsaals öffneten sich, und vier junge Kellner schritten herein. Sie trugen ein Tablett. Fließender Stoff bedeckte den glatten quaderförmigen Gegenstand, der auf ihm ruhte. Die vier jungen Kellnerblieben mit ihrer verhüllten Fracht vor Zanassian und Bellini stehen. Zentimeterweise ließen sie die Bahre auf einen Tisch hinab, den zwei andere Kellner beigestellt hatten. Der Laudator wartete, bis die Träger wieder abgetreten waren. Mit großer Geste lüftete er das Tuch. Unter schützendem Glas türmte sich ein kunstvolles Marzipangebilde.
»Hochverehrter Signore Bellini! Ich überreiche Ihnen hiermit die wiedererrichtete Oper Frankfurt, die dank Ihnen und gemeinsam mit Ihnen ihren Geburtstag feiern darf. Möge für Sie und dieses Haus nun ein halbes Jahrhundert anbrechen, das frei ist vom Leid, nicht aber von der Glorie des vergangenen.«
Egolf Zanassian hob sein Champagnerglas. »Wollen wir in diesem Sinne den Trinkspruch ausbringen: Auf Benito Bellini, auf die Oper, auf die Musik! Wie sinnlos wäre ein Leben ohne sie!«
Tränen schimmerten in den dunklen Augen des Intendanten, als er Egolf Zanassians Hände umfaßte und unter nicht enden wollendem Applaus schüttelte.
»Liebe, liebe Freunde! Mir fehlen die Worte. Ich bin überwältigt. Das ist die größte Freude, die Sie mir machen konnten. Die größte Ehre, die Sie mir erweisen konnten. Ich verspreche Ihnen: All mein Blut werde ich
dafür geben, mich ihrer würdig zu erweisen. Tausend, tausend Dank! Ich werde das nie vergessen.«
Ergriffen berührte Bellini die gläserne Haube, unter der die Oper um so viel reiner und filigraner saß als unter der Frankfurter Dunstglocke. Er stand stumm, unfähig, die Augen von dem detailgetreuen Marzipanmodell zu lösen.
Gustave Beauval, Intendant der Pariser Bastille und von eben dort angereist, legte den Arm um seinen langjährigen Freund und engen Vertrauten. Er raunte ihm ins Ohr: »Benito, ich gratuliere. Ich glaube, daß du seit Wagner der erste Intendant bist, dem man ein Opernhaus geschenkt hat.« Die beiden Männer lachten.
Das Festmahl wurde derweil unauffällig eröffnet. Die Heerscharen der Servierpinguine sorgten dafür, daß alle zweihundert Gäste gleichzeitig die Suppentassen vor sich fanden. Die Böden der durchscheinenden Gefäße waren mit einer bisque de palourdes dezent bedeckt.
Egolf Zanassian schlürfte die raffinierte Venusmuschelsuppe, ohne sie eines genaueren Blickes gewürdigt zu haben. Seine ganze Aufmerksamkeit verzehrte die große, knochige Frau an seiner Seite. Gemeinsam mit der internationalen Opernwelt hatte er Jessica Johnson-Myer vor einigen Jahren bei den Bayreuther Festspielen entdeckt. Seither war sie seine private Gottheit. Die Amerikanerin dankte es ihm, indem sie ihm dabei half, sein Geld in Kultur zu waschen. Auch jetzt noch, wo sie längst zu einer der bestbezahlten Wagner-Sängerinnen aufgestiegen war, gewährte sie ihrem
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