Ringkampf: Roman (German Edition)
Orchestergraben. Sie fragte sich, ob Bellini merkte, wie sehr die Bühne seiner musikalisch heilen Welt spottete.
Sie schnalzte ärgerlich, als Slawomir Wolansky an die Rampe stapfte. Der polnische Sänger mimte den Alberich zu Tode. Obgleich seine Brust nackt war und sein Unterkörper in engen Fellhosen steckte, bewegte er sich wie in wallendem Sackleinen. Im Laufe der szenischen Proben hatte sich Cora daran gewöhnt, den Sänger einfach zu übersehen. Jetzt kam er ihr wie ein tödlicher Virus vor, der das ganze Bild zersetzte. Sie streckte die Hand aus, um den befallenen Teil aus ihrem Gesichtsfeld zu schneiden. Angestrengt blinzelte sie über ihre Fingerkuppen hinweg.
In immer weiter geschwungenen Bögen flogen die Rheintöchter durch die finstere Bühnenhöhle. Ihre Körper zerschweiften zu silbrigen Pinselstrichen. Cora hielt die Luft an. Woglinde verließ am vorderen Wendepunkt ihre gezirkelte Bahn, stieg noch ein kleines Stück höher und fiel wie eine Sternschnuppe in die Tiefe.
Notenständer krachten, Instrumentenholz splitterte, Musikerkehlen gellten. Lautlos glitt die gefallene Flußjungfrau vom Schoß eines Bratschisten. Ihre linke Hand krampfte sich um ein gekipptes Notenpult.
Die Dramaturgin war aufgesprungen. Eine sich überschlagende Stimme brüllte nach Licht. Schreckensstarr erhob sich Alexander Ravens Silhouette aus der vorderen Reihe. Er schüttelte Gwendolyn ab, die sich wie eine verängstigte Meerkatze an ihn geklammert hatte.
»Elisabeth«, schrie er hilflos, »Elisabeth!«
Keiner der Musiker wagte es, die gestrandete Nixe zu berühren. Der Bogen des Bratschisten hatte sich in ihren linken Busen gebohrt. Aus der Wunde quoll blutiger Schaumstoff.
18
Die Kronleuchter im Bankettsaal des Frankfurter Hofs zerstäubten ihr Licht über der illustren Festtagsversammlung. Zweihundert handverlesene Gäste, Spitzen der Gesellschaft, säumten die damastgedeckten Tafeln. An den Wänden standen die Kellner so steif wie die Servietten auf den silbernen Platztellern. Buketts aus Feuer-, Schwert- und Fackellilien loderten mit den versprengten Damenroben um die Wette. Manikürte Finger rollten die zerbrechlichen Stiele der Champagnerkelche. Gepflegter Small Talk schwirrte durch die Luft.
Nur ein einziger Gast entzog sich dem heiteren Nichts. Alexander Raven saß seine gesellschaftliche Pflicht im geliehenen Smoking ab. Erst heute morgen hatte man seine Frau aus dem Hospital entlassen. Er hatte den Abend am Krankenbett verbringen wollen.
Mit feinem Klang heischte ein ans Rotweinglas geschlagener Löffel um Aufmerksamkeit.
Egolf Zanassian, Gastgeber der splendiden Feierlichkeit,
wuchtete sich hoch. Der massige Mann mit den zierlichen Extremitäten strahlte heller als der Lüsterauf seinem Tisch. Zanassian war der Pottwal, der im Frankfurter Immobilienbecken selbst die Haie plattdrückte. Egolf war der Schöngeist, der beim Tristan-Akkord in Tränen versank. Bei einem Anlaß wie diesem konnte sich seine Doppelnatur voll entfalten.
Das Notizblatt zitterte, als der empfindsame Tycoon seine Ansprache begann.
»Es ist eine große Freude für mich, Sie alle heute abend hier begrüßen zu dürfen! Doch gestatten Sie mir, einen Mann ganz besonders und ganz persönlich willkommen zu heißen, den Mann, zu dessen Ehrung wir uns zusammengefunden haben: Signore Benito Bellini. «
Der Saal applaudierte. Zweihundert leuchtende Blikke schwenkten weg von den Rednerlippen und bündelten sich im Gesicht des Jubilars.
»Hochgeschätzter Signore Bellini!« Egolf Zanassians Worte gingen unter im Spektakel der Hände. Er setzte noch einmal an. »Hochgeschätzter Signore Bellini! Wenn wir uns heute abend hier versammelt haben, um Sie zu ehren, so hat dies seinen Grund nicht einzig darin, daß Sie fünfzig Jahre Ihres Lebens vollendet haben. Auch nicht einzig und allein darin, daß es fünfzig aufsehenerregende, künstlerisch und kreativ pralle Jahre sind, auf die wir an diesem Tag – gemeinsam mit Ihnen — zurückblicken dürfen. Etwas anderes ist es, das Sie über all diese herausragenden Qualitäten hinaus in das Zentrum unserer Bewunderung rückt. Als Bürger von Frankfurt sind wir, bin ich Ihnen zu ganz besonderem Dank verpflichtet. Erlauben Sie mir, das, was ich meine,
zunächst mit einem ewig gültigen Wort Friedrich Schillers auszudrücken: ›In der Not allein bewährt sich der Adel großer Seelen.‹ — Hochgeschätzter Signore Bellini«, fuhr Zanassian nach einer andächtigen Pause fort, »der Adel Ihrer
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