Ringwelt 05: Crashlander

den schlimmstmöglichen Fällen.
    Erstens: Exekutionen. Ein öffentlicher Autodoc ist imstande, die meisten Spielarten von Wahnsinn zu heilen. Wahnsinn ist heilbar, also freiwillig. Ein Kapitalverbrechen, das während einer Periode des Wahnsinns begangen wurde, zieht seit siebenhundert Jahren die Todesstrafe nach sich – nicht nur auf der Erde, sondern auf allen Welten, die ich kenne.
    Das galt auch für Fafnir. Doch Sharrol war nicht wegen irgendeines Verbrechens exekutiert worden, genauso wenig wie – leider – Feather.
    Zweitens: Es gibt noch immer Einrichtungen, die sich mit der Erforschung des Wahnsinns befassen. Die bekannteste befindet sich auf Jinx. Auf der Erde gibt es gleich mehrere, plus einer geheimen Abteilung der ARM. Auf Fafnir hingegen existierte damals nur ein einziges Institut, das sich mit mentaler Forschung überhaupt beschäftigte, und dieses Institut war nur zur Hälfte besetzt. In den Aufzeichnungen fand ich weder Sharrols noch Feathers Retinamuster.
    Die dritte Möglichkeit mußte noch warten.
     
    Wir alle hatten den hoteleigenen Styler bitter nötig, obwohl ich am schlimmsten von uns dreien aussah. Die Maschine ließ mein Haar im Nacken lang, genau wie bei Tor und Wil – eine einheimische Mode, die gegen Sonnenbrand im Nacken schützen sollte. Ich ließ meinen Bart stutzen, ohne ihn ganz abzunehmen. Die Sonne hatte mir bereits mitgespielt: Ich sah älter aus, als ich war.
    Ich lud Wil und Tor zum Essen ein. »Gullfish« war auf der Speisekarte aufgeführt, und ich versuchte ihn. Wie viele Meerestiere Fafnirs schmeckte er wie etwas, das fast den Schritt zum Säugetier geschafft hatte.
    Beiläufig flocht ich ein paar Punkte in unsere Unterhaltung ein, um die beiden abzuklopfen. Es war gleichermaßen ihre letzte Chance, mich auszufragen, und ich mußte Details einer Kindheit im Nördlichen Meer erfinden. Tor schenkte meiner Geschichte schließlich Glauben; Wils Gesichtsausdruck war schwerer zu lesen. Kein Wort fiel über meine durchlöcherte Jacke oder das große Seeungeheuer. In ihren Köpfen war ich bereits wieder verschwunden.
    Ich war wie Schrödingers berühmte Katze: Ich hatte den Besitzer einer zerfetzten Jacke zugleich ermordet und auch wieder nicht.
     
    Vor dem Holofon in meinem Zimmer wies ich mich als Martin Wallace Graynor aus. Damit hatte ich Zugriff auf die medizinischen Daten meiner Frau. Öffentliche Autodocs korrigieren jedes hormonelle Ungleichgewicht, das wir unter dem Begriff »verrückt« zusammenfassen, doch sie führen auch Aufzeichnungen über derartige Eingriffe.
    Milcenta Graynor – Sharrol – hatte den Doc in einem Zeitraum von etwas über vier Monaten achtmal benutzt, das erste Mal eine Woche nach unserer Landung und dem darauf folgenden Desaster. Die Daten zeigten weitgehende Verbesserungen über den gesamten Zeitraum, angefangen bei einem gefährlich hohen Adrenalinspiegel und übersäuertem Magen bis hin zu weniger gefährlichen Fehlfunktionen. Acht Mal im Bereich der Central Islands … und kein einziges Mal auf dem Kontinent.
    Falls sie nie auf dem Festland eingetroffen war, dann hatte sie auch nicht versucht, die Reederei Outbound Enterprises zu erreichen. Genauso wenig, wie sie versucht hatte, Carlos oder die beiden Kinder zu finden, Louis und Tanya.
    Über Adelaide Graynor – Feather – gab es keine Autodoc-Daten auf dieser Welt. Die naheliegendste Schlußfolgerung war, daß sie inzwischen schizophren sein mußte wie die Hölle, ganz gleich, wo sie sich aufhielt.
    Überall auf Fafnir gab es Schiffe, die auf den Namen Gullfish getauft waren. Einundfünfzig Registrierungen. Neunundzwanzig davon Segler. Zehn davon mit Platz für vier Leute an Bord. Ich suchte nach Vornamen: Keine Wilhelmin, kein Toranga. Möglicherweise gehörte die Gullfish den Eltern oder einem der beiden Partner, von denen sie sich getrennt hatten?
    Ich hatte einen Fachbegriff für die Segel- und Mastkonfiguration der Gullfish gelernt: Schaluppe.
    Jedes einzelne der zehn in Frage kommenden Segelboote war eine Schaluppe!
    Halt, Augenblick. Hatte Wil nicht beim Pacifica-Zoo gearbeitet?
    Ich stellte weitere Nachforschungen an. Pacifica war nicht nur ein Zoo. Die Anlage sah mehr nach einem richtiggehenden Unterwasserdorf aus: Ich fand Listen mit Lieferanten, es gab Bekleidungsläden, Unterseeboote, Reparaturwerkstätten, Reisebüros, Hotels … Wil hatte mit Meerestieren gearbeitet. Vielleicht ergab sich daraus ein Anhaltspunkt?
    Ich wußte nicht wie.
    Nicht, daß ich keine Antwort