Ringwelt 08: Der kälteste Ort
verdammt nahe an die Oberfläche des Planeten herangehen. Die Atmosphäre des Mars ist so dünn wie die Träume eines Flatlanders.«
»Herzlichen Dank. Lit, ist der Mars nicht Eigentum der Vereinten Nationen?«
»Nur, weil wir nie Wert darauf gelegt haben.«
Demnach hatte Müller also unbefugt die Grenze überschritten. »Weiter. Was geschah mit Müller?«
»Ich werde ihn selbst erzählen lassen. Dies hier ist sein Logband.« Lit Shaeffer hantierte an der flachen Schachtel herum, und die Stimme eines Mannes ertönte.
20. April 2112
Der Himmel ist eintönig, die Erde ist eintönig, und beide schließen sich in der Unendlichkeit zum Kreis. Es ist kein Stern zu sehen, außer dem Großen, der hier etwas größer wirkt als in den meisten Teilen des Belts, aber genau wie der Himmel ist er rot gefärbt.
Ich bin am Grund eines Loches, und ich muß verrückt gewesen sein, das Wagnis einzugehen. Ich bin lebend heruntergekommen. Das hatte ich nicht erwartet, nicht hier am Ende.
Die Landung war ein einziger Irrsinn.
Man muß sich ein Universum vorstellen, dessen eine Hälfte aus ockerfarbener Abstraktion besteht, zu fern und viel zu gewaltig, als daß man Einzelheiten hätte erkennen können, und das mit rasender Geschwindigkeit vorbeistürzt. Ein eigenartiges, singendes Geräusch dringt durch die Wände herein, und es ist anders als alles, was man je zuvor gehört hat, wie das Flügelschlagen des Todesengels. Die Wände werden warm.
Man hört das Summen des Thermosystems selbst durch das Heulen der Luft, die um die Außenhülle rauscht. Und dann schüttelt sich das Schiff wie ein waidwunder Dinosaurier, als hätte man noch nicht genug Probleme.
Da waren meine Treibstofftanks, die sich losrissen.
Plötzlich klinkten sie ihre Haltestreben aus, alle vier gleichzeitig, und wirbelten kirschrot von mir fort.
Das stellte mich vor die Wahl zwischen zwei gleich ungünstigen Möglichkeiten. Ich mußte mich rasch entscheiden. Wenn ich die Hyperbel beendete, würde ich auf unbekanntem Kurs in den Weltraum geschleudert werden, und zwar mit dem Rest Treibstoff, der sich in dem Kühltank im Inneren des Schiffs befand. Mein Lebensbereich würde mich nicht länger als zwei Wochen am Leben erhalten. Die Chancen standen schlecht, daß ich mich in so kurzer Zeit und mit einem so knappen Treibstoffvorrat irgendwohin durchkämpfen konnte, und ich hatte dafür gesorgt, daß die Goldhäute mich nicht erreichen konnten.
Doch der Treibstoff im Kühltank würde ausreichen, mich hinunterzubringen. Selbst die Schiffe von der Erde verbrauchen beim Ein- und Austritt in ihre geliebten Gravitationstrichter nur einen geringen Teil ihres Treibstoffs. Das meiste davon wird bei ihrer Bemühung, schnell von einem Planeten zum anderen zu gelangen, verbrannt. Und der Mars ist leichter als die Erde.
Aber was dann? Auch dann blieben mir nur noch zwei Wochen zu leben.
Mir fiel der alte Solis-Lacus-Stützpunkt ein, der schon seit siebzig Jahren verlassen war. Sicher konnte ich das Versorgungssystem so weit wieder herstellen, daß es einen Mann am Leben erhalten konnte. Vielleicht fand ich sogar so viel Wasser, daß ich etwas davon durch Elektrolyse in Wasserstoff verwandeln konnte.
Ob es nun richtig war oder falsch, ich landete jedenfalls unten.
Die Sterne sind verschwunden, und das Land um mich herum erscheint mir sinnlos. Ich weiß jetzt, warum die Planetenbewohner ›Flatlander‹ genannt werden. Ich komme mir vor wie eine Mücke auf einem Tisch.
Ich sitze hier und zittere vor Angst, hinausgehen zu müssen.
Unter einem rötlich-schwarzen Himmel liegt ein Meer von Staub, hier und da unterbrochen von nachlässig geformten, gläsernen Aschenbechern. Die kleinsten, gleich hier vor der Luke, haben nur einen Durchmesser von einigen Zentimetern. Die größten sind mehrere Kilometer breit. Als ich landete, zeigte der Tiefenradar die Überreste von viel größeren Kratern tief unter der Stauboberfläche an. Der Staub ist fein und weich, fast wie Treibsand. Ich schwebte herunter wie eine Feder, und doch ist das Schiff bis zur Hälfte des Lebensbereiches eingesunken.
Ich habe am Rand einer der größten Krater aufgesetzt. Es ist derjenige, der den ehemaligen Stützpunkt der Flatlander beherbergt. Von oben betrachtet sieht er aus wie ein riesiger, durchsichtiger Regenmantel, den jemand auf dem rissigen Kraterboden vergessen hat.
Es ist ein merkwürdiger Ort. Aber einmal muß ich hinaus; wie soll ich sonst an das Versorgungssystem des Stützpunktes
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