Ringwelt 08: Der kälteste Ort
gelangen?
Mein Onkel Bat pflegte zu sagen, daß auf Dummheit die Todesstrafe steht.
Ich werde morgen hinausgehen.
21. April 2112
Meine Uhr zeigt an, daß es Morgen ist. Die Sonne steht jetzt auf der anderen Seite des Planeten, und der Himmel ist nicht mehr blutrot. Er sieht fast aus wie der weite Raum, wenn man die Schwerkraft außer acht läßt, doch die Sterne sind blaß, als würde man sie durch beschlagenes Plastik betrachten. Ein großer Stern ist am Horizont aufgegangen. Er wird heller und dunkler wie ein rotierender Gesteinsbrocken. Das muß Phobos sein, denn er ist in der Gegend des Sonnenuntergangs aufgetaucht. Ich gehe hinaus. Später:
Dort, wo die Fusionsflamme auftraf, ist das Schiff von einer Art konkaver Glasschüssel umgeben. Der Lebensbereich des Schiffes, die Hälfte, die aus dem Staub herausragt, sieht aus wie ein Frischling, der auf einem Lilienkissen im Kapselasteroiden ruht. Die Schale ist wie ein Spinnengewebe aus Fäden, aber sie ist so fest, daß man darauf laufen kann.
Anders ist es mit dem Staub.
Der Staub ist wie dickflüssiges Öl. Als ich den Fuß erstmals auf den Boden setzte, sank ich sofort ein. Ich mußte zu dem Kraterrand hinüberschwimmen, der sich wie ein Inselstrand ausdehnt. Es war harte Arbeit. Zum Glück reicht die Schüssel, die durch die Fusionsflamme entstanden ist, an einer Stelle bis zum Kraterrand, es bleibt mir also erspart, das noch einmal zu tun.
Es ist merkwürdig, dieser Staub. Ich bezweifle, daß man irgendwo im System etwas Ähnliches finden könnte. Er setzt sich aus Meteoritenrückständen zusammen und besteht vornehmlich aus kondensiertem Gesteinsstaub. Auf der Erde würde derartig feiner Staub vom Regen ins Meer gespült und zu Sedimentgestein, natürlichem Zement, werden. Auf dem Mond würde er durch das Vakuum zu Zement gepreßt werden, das Kreuz der Mikroverkleinerungsindustrien im Belt. Aber hier gibt es gerade genug ›Luft‹, daß sie von der Stauboberfläche absorbiert werden kann … und nicht annähernd genug, um einen Meteoriten aufzuhalten. Das Ergebnis: Er verdichtet sich nicht zu Zement, unter keinen Umständen. Also verhält er sich wie eine zähe Flüssigkeit. Wahrscheinlich sind die einzigen Stellen, an denen der Boden fest ist, die Meteoritenkrater und die Bergketten.
Der Aufstieg auf den Kraterrand war schwierig. Er besteht ganz aus zerbrochenen, gekippten Blöcken von vulkanischem Glas. Die Ränder sind fast scharf. Dieser Krater hier muß aus der geologischen Neuzeit stammen. Auf seinem Grund liegt die Blasenstadt – halb versunken in einem flachen See von Staub. Ich kann in der hier herrschenden Schwerkraft ganz gut laufen; sie liegt etwas unter der maximalen Fallbeschleunigung meines Schiffes. Aber ich hätte mir beim Abstieg über diese gekippten, glitschigen, staubbedeckten Steinblöcke ein paarmal fast die Knöchel gebrochen. Alles in allem ist der Krater ein zerbrochener Aschenbecher, der notdürftig wieder zusammengesetzt worden ist wie ein Puzzle.
Die Base liegt über dem Stützpunkt wie ein Zelt, aus dem die Luft herausgelassen worden ist. Die Lufterzeugungsanlage befindet sich unmittelbar daneben. Der Lufterzeuger war siebzig Jahre lang der Marsatmosphäre ausgesetzt und sieht nur noch aus wie ein geschwärzter Metallwürfel. Er ist riesig. Es muß ein schweres Stück Arbeit gewesen sein, ihn zu transportieren. Ich werde niemals verstehen, wie sie diese Masse nur mit Hilfe von chemischen und Ionentriebwerken von der Erde zum Mars bringen konnten. Oder warum überhaupt? Was gab es Begehrenswertes auf dem Mars?
Wenn es je eine nutzlose Welt gegeben hat, dann ist es der Mars. Er liegt nicht, wie der Mond, dicht bei der Erde. Die Schwerkraft ist unangenehm hoch. Es gibt keine Bodenschätze. Wenn man seinen Druckanzug verliert, ist nur noch die Frage, ob man am Unterdruck zugrunde geht oder weil das rotdampfende Stickstoffdioxid die Lunge verätzt. Die Brunnen?
Irgendwo auf dem Mars gibt es Brunnen. Um 1990 herum hat die erste Expeditionsmannschaft einen gefunden. In der Nähe des Brunnens sind sie auf ein mumifiziertes Etwas gestoßen. Es explodierte, als es mit Wasser in Berührung kam, daher hat man nie Näheres darüber erfahren, auch nicht, wie alt es war.
Haben sie erwartet, auf lebende Marsbewohner zu stoßen? Und wenn ja, was soll’s?
Vor der Blase stehen zwei zweisitzige Marsbuggys. Sie haben einen weiten Achsabstand und sehr breite Räder, wahrscheinlich breit genug, daß sie beim Fahren nicht im Staub
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