Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
die Augen zusammen, doch dieses Mal vor Erstaunen – und das lag an den Personen, die am Fuße dieses kleinen Hügels standen.
Eine schlanke Frau mit schimmernd schwarzem Haar und auffallend violetten Augen trat vor. Ihr Alter ließ sich nicht einmal schätzen – eine der Segnungen der modernen Medizin, die allen Kolonisten zuteil wurde. Doch diese Frau bewegte sich mit einer Anmut und einem Geschick, die darauf schließen ließen, dass sie in ihrem Leben schon einiges an Erfahrungen hatte sammeln können. Ihre Bluse in einer Kombination aus Purpurn und Rot wirkte durch den zarten Mattglanz des Stoffes nur noch gewagter. Ihre salopp geschnittene Hose bestand aus einem erstaunlich flauschigen Material. Stoff und Muster gleichermaßen verrieten den beachtlich hohen Status, den diese Frau innehatte.
An der Hand, die Kirsten nun entgegengestreckt wurde, bemerkte Kirsten einen massiven Nachkommen-Ring, in dem vier kleine Rubine und mindestens zehn Smaragde glitzerten: Sie standen für Kinder und Enkelkinder. »Ich bin Sabrina Gomez-Vanderhoff.« Es wäre nicht erforderlich gewesen, dass sie sich selbst vorstellte. Gomez war die Gouverneurin des Selbstverwaltungsrates von Arcadia und damit die ranghöchste gewählte Würdenträgerin der ganzen Kolonie. »Mein Kollege hier ist Aaron Tremonti-Lewis.« Das war der Minister für öffentliche Sicherheit.
Zu den Aufgaben des Ministerium für öffentliche Sicherheit gehörte es, Brände zu löschen und für Hilfe zu sorgen, falls sich Stürme oder andere Naturkatastrophen ereigneten. Kirsten wäre niemals auf die Idee gekommen, dass zu dieser Funktion auch gehören könnte, die Gesellschaft der Kolonisten vor ihren angeblichen Gönnern zu schützen. Sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte.
»Darf ich Sie Kirsten nennen?« Die Gouverneurin wartete eine Antwort gar nicht erst ab. »Kirsten, bitte entschuldigen Sie, wenn ich etwas schroff bin. Wir sind hier …« Ihre ausladende Handbewegung schloss das ganze gewaltige Feld ein. »… damit niemand uns belauschen kann. Selbstverständlich würden, wenn wir beide längere Zeit einfach verschwinden, schon bald unerfreuliche Fragen gestellt.«
Die Bürger würden Fragen stellen, hieß das. »Dann lege ich gleich los«, sagte Kirsten. »Angefangen hat es damit, dass …«
Schon fiel ihr Gomez ins Wort. »Das hat Omar bereits erläutert. So sehr uns das auch interessieren mag, vorerst müssen wir unsere Diskussion auf einige wenige Punkte beschränken.«
Die Fragen wurden schnell und voller Unglauben gestellt, und immer wieder wurde Kirsten unterbrochen: durch Zwischenfragen und sehr kunstvoll ausformulierte Suggestiv-Zusammenfassungen. Sie wurde hier auf die Probe gestellt! Die zahllosen, einander oft überschneidenden Fragen und Bemerkungen nahmen sie so sehr in Anspruch, dass sie völlig außerstande war abzuschätzen, ob die Politiker ihren Worten überhaupt Glauben schenkten oder nicht. Erzählte sie die Geschichte genauso wie Omar vor ihr? Zählte sie die gleichen Fakten auf? Klangen ihre Worte glaubwürdig? Dieses Kreuzverhör diente zweifellos dazu, sie zu verunsichern, um auf diese Weise jegliche Schwäche oder Inkonsistenz in ihrer Geschichte aufzudecken.
Die Gouverneurin von Arcadia hatte ihre eigenen Erfahrungen mit Nike gemacht – vor allem seit dem letzten Regierungswechsel: Der konservative Hinterste weigerte sich strikt, persönlich mit den Kolonisten zu sprechen. Dass Sabrina Nike gut kannte, ließ sämtliche ihrer Fragen nur noch schneidender wirken.
Kein Wunder, dass Omar so erschöpft aussah.
Hartnäckig ertrug Kirsten jegliche Unterbrechungen und präsentierte nach und nach die entscheidenden Fakten: Wie aus ihrer Sorge um die Gw’oth Skepsis an der allgemeinen Politik der Konkordanz anderen Spezies gegenüber geworden war – einschließlich der eigenen Spezies. Wie sie nach schlüssigen Daten gesucht hatten, zunächst in den Computern an Bord der Explorer, dann auf dem Kontinent Elysium und schließlich sogar auf Hearth. Wie sie nach dem Institut für Menschenforschung gesucht hatten. Wie sie kurz auf die Long Pass gegangen waren, die – für alle sichtbar – im Orbit von NSW 5 ›verborgen‹ war.
»Ich danke Ihnen für Ihre Geduld«, sagte Gomez schließlich. »Wenn Sie uns einen Augenblick entschuldigen wollen?«
Kirsten verstand sofort, was damit gemeint war. Sie und Omar zogen sich zurück, spazierten zu einem kleinen Bachbett hinüber und beobachteten von dort, aus mehr als einhundert
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