Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
hatte. Gewiss waren sie tot.
Nessus fragte sich, wer das der kleinen Rebecca erklären sollte.
Trotz seines Zorns über die Hinterlist der Kolonisten akzeptierte Nessus seine eigene Verantwortung in dieser Tragödie. Er hatte sie ausgewählt. Er hatte sie ausgebildet. Er hatte sich persönlich für sie eingesetzt.
Und letztendlich hatte er sie im Stich gelassen.
Nike stand vor Nessus, strich ihm immer wieder über die Mähne, massierte ihm die verspannten Schultern, summte dabei ein wortloses Klagelied. »Es musste geschehen, Nessus«, sagte Nike. »Wirklich, es tut mir leid.«
»Ich weiß.« Nessus erschauerte. »Ich werde es überstehen.«
»Ich habe sie auch gemocht«, setzte Nike hinzu. »Aber sie haben ihren Weg selbst gewählt.«
Nessus konnte es nicht ertragen, weiter über seinen Verlust nachzudenken. »Ich nehme an, damit ist das Kolonisten-Kundschafterprogramm beendet. Sobald die Überholung der Aegis abgeschlossen ist, werde ich wieder starten.«
»Beizeiten.« Jetzt machte sich Nike daran, Nessus’ Mähne zu kämmen. »Jetzt bin ich erst einmal froh, dass du hier bist.«
Mit langsamen Schritten schlenderten Nike und Nessus durch die Menge. Noch einmal warf Nessus einen Blick auf die Zöpfe in Nikes Mähne, die genau auf seine eigenen abgestimmt waren. Selbst der Haarkünstler, der so eilig herbeigerufen worden war, um sie vorzubereiten, war nicht so überrascht gewesen wie Nessus.
Die aufeinander abgestimmten Mähnen; die Art und Weise, wie sie nebeneinander gingen: die Flanken eng aneinander geschmiegt; wie sie einander ihren Freunden vorstellten … das alles waren Bestätigungen. Das alles waren Traditionen, mit denen die gesamte Gemeinschaft aufgefordert wurde, dieses Bündnis zu prüfen und für gut zu befinden.
Sie waren natürlich noch kein Bündnis eingegangen, waren noch keine echten Gefährten, aber der Prozess war bereits eingeleitet.
»Clio.« Zur Begrüßung wiederholte Nessus den Namen. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen.« Seine trällernde Stimme klang fast tonlos und ein wenig dissonant, doch niemand machte darüber eine Bemerkung. Wie sollte er sich so viele Namen merken? Auf der Sozialweide in Nikes Arcology wimmelte es nur so vor Nikes Freunden, Nachbarn und Bekannten. Am Rand des Grundstücks erstreckte sich eine virtuelle Herde bis in die Unendlichkeit – die Illusion war perfekt, der Übergang nicht auszumachen.
Sie schlenderten zwischen Holoskulpturen und Tanzvorführungen hindurch, genossen Duftbrunnen und lieblichen Chorgesang und bewunderten die zahllosen Kunstformen, mit denen die meisten Bürger ihre Freizeit verbrachten. Nach einem weiteren verstohlenen Blick auf ihre aufeinander abgestimmten Mähnen war Nessus aufs Neue erstaunt darüber, wie ähnlich Nike und er einander doch waren. Sie passten wirklich zueinander.
Irgendwann, nachdem sie eine Zeit lang nur umhergeschlendert waren, schlossen Nike und er sich einer Gruppe Tänzer an. Beine blitzten auf, Hufe wurden hoch in die Luft geschleudert, Stimmen erhoben sich zu fröhlicher Begleitung der Musik, und Nessus begriff: Ich bin glücklich.
Natürlich war das noch nicht der Paarungstanz. Die Paarung, so sie denn jemals geschehen sollte, lag noch in weiter Ferne. Dennoch: Eingehüllt vom schweren, dichten Duft der Herdenpheromone gestattete sich Nessus den Tagtraum darüber, wie Nike und er gemeinsam über die saftigen Wiesen des Harem-Hauses schlenderten.
Vor seinem geistigen Auge sah Nessus ein ganzes Rudel Gefährtinnen. Sie weideten auf einem kleinen Hügel in der Nähe, und jede einzelne Gefährtin war wunderschön und scheu.
Dann blickte eine außerordentlich zierliche, herrliche Gefährtin von ihrem Mahl auf. Mit der Perfektion ihrer wirbelnden Sprünge lockten Nike und er die zierliche Braut zu sich. Sie kam zu ihnen und schloss sich dem Tanz an, und ihre Bewegungen waren graziler als alles, was Nessus jemals gesehen hatte. Und so wurden all ihre Bewegungen noch komplexer und sinnlicher.
Dann riss sie sich von ihnen beiden los, und Nessus hielt gespannt den Atem an. Das war der Augenblick, in dem die Entscheidung fiel.
Die kleine Gefährtin blickte zu dem Hügel hinüber, auf dem ihre Freundinnen weideten. Jetzt konnte sie wieder zu ihnen zurückkehren und weiter ihr idyllisches Leben leben – das einzige Leben, das sie je gekannt hatte. Oder …
Sie blickte sich nach ihren Verehrern um. Langsam schritt sie dann auf eine scharlachrote Hecke zu, die einen blickdichten Halbkreis
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