Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
erkennen – wirkte regelrecht entstellend.
»Euer Exzellenz, was auch immer man Ihnen dort geschickt hat, es ist äußerst schwer. Die Scanner melden nur zahlreiche Felsbrocken, jeweils von schützendem Schaumstoff umhüllt. Offensichtlich nichts Gefährliches.«
Warum sollte Nessus ihm eine ganze Ladung Felsbrocken schicken? »Zeigen Sie mir einen davon.« Als der Vorarbeiter einen Schritt näher an den mobilen Scanner herantrat, verbesserte Nike sich: »Öffnen Sie eine.«
»Euer Exzellenz?«
»Es wird nichts passieren«, versicherte Nike ihm. Er hatte zumindest genügend vom Wesen der Kolonisten begriffen, um Neugier als solche zu erkennen, wenn er sie – auf unerklärliche Weise – selbst verspürte. Oder lag das schon wieder an Nessus’ Einfluss?
Voller Ungeduld – die gewiss irgendwie mit der ungewohnten Neugier verwandt war – schaute Nike von seiner Position hinter einer schützenden Barriere aus zu, wie ein Roboter vorsichtig die oberste Kiste von einem der Stapel absenkte. Zuerst löste die Maschine den Deckel, dann auch die Seitenwände des Containers. Arbeiter in Schutzkleidung eilten herbei, um das Verpackungsmaterial zu entfernen. Schließlich traten sie, ganz offensichtlich verwundert, einen Schritt zurück und gestatteten Nike einen Blick auf sonderbare Gestalten, die geradezu wundersam detailliert aus dem Marmorblock herausgearbeitet waren. Nikes Lippen zuckten in unverhohlener Freude.
Nike erhob sich, als einer seiner Assistenten Nessus in sein Büro führte. Wie stets trat Nike selbstsicher auf und war makellos frisiert. An diesem Tag glitzerten in seiner Mähne zahllose goldene und orangefarbene Edelsteine. »Ich danke Ihnen, Vesta.«
Rückwärts trat Vesta durch die Tür und schloss sie von außen.
»Ich sehe, dass mein Geschenk eingetroffen ist«, merkte Nessus an und betrachtete bewundernd den Skulpturenschmuck aus Marmor, der an einer langen, leicht geschwungenen Wand des Raumes aufgehängt war. Heldengestalten, an denen die Kleidung mit ihren dekorativen Falten durchaus elegant wirkte. Wundersame Tiergestalten. Makellose Kunstfertigkeit. Obwohl das Büro sehr geräumig war, konnte doch nur ein Bruchteil des Kunstwerkes ausgestellt werden. »Es ist noch schöner, als ich es mir vorzustellen gewagt habe.«
»Es ist atemberaubend, Nessus. Ist es wirklich das, wofür ich es halte? Der Parthenonfries?«
»Ein Großteil«, erwiderte Nessus. »Erworben vom British Museum.« ›Erworben‹ war ein hinreichend neutraler Begriff – und die Menschen selbst hatten schließlich auch jahrhundertelang darum gestritten, wer denn nun eigentlich der rechtmäßige Eigentümer sei. »Angesichts deines Interesses an der Mythologie der Menschen hatte ich gehofft, es würde dir gefallen.«
»Sehr sogar.« Nach einem kurzen Seitenblick, um sich zu vergewissern, dass seine Bürotür wirklich geschlossen war, verschränkte Nike in einer äußerst koketten Geste die Hälse.
Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet, dachte Nessus. Und wie sehr haben sich doch die Umstände geändert. Er ging an Nikes Schreibtisch vorbei, um noch besser die Steintafel mit den beiden sich gegenübersitzenden Menschengruppen betrachten zu können. »Selbst die Gelehrten der Menschen können sich nicht darauf einigen, was genau die Bedeutung dieses Frieses ist.«
Nike trat näher an ihn heran.
»Es heißt, dieser Fries feiere die Schöpfung der Menschheit«, fuhr Nessus fort. »Manche sagen, diese Szenerie hier stelle einen Rat der Götter dar, die darüber debattieren, wie weise diese Schöpfung wohl gewesen sei. Wir sehen deutlich, dass die beiden Gruppen, die dabei die beiden unterschiedlichen Standpunkte vertreten, einander sehr ähnlich sind.«
Und wieder einmal ist das Schicksal der Menschheit ins Gleichgewicht gebracht.
»Und jetzt wird es Zeit, Nike, mir genau zu berichten, was mit der Explorer geschehen ist.«
Kirsten, die Lichtjahre von dem Ort entfernt war, an den sie gehörte. Eine Verschwörung der ganzen Mannschaft. Die Explorer, ursprünglich eine todbringende Waffe, einfach verschwunden – und in der Hand dieser doppelzüngigen Kolonisten. Die Zerstörung des Schiffes war absolut sinnvoll gewesen. Doch die Logik linderte nicht den Schmerz. Auf einer Bank in Nikes Büro sackte Nessus in sich zusammen. Das Triumphgefühl, Nike dieses Geschenk machen zu können, war unendlicher Trauer gewichen. Monate waren vergangen, ohne dass irgendjemand die drei gesichtet oder mit ihnen kommuniziert
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