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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
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»In Wirklichkeit ging es uns nur darum, dass die Jungs die Mädchen ficken konnten und dass die sich hinterher nicht beklagten.«
    Im Februar 1972 tourten MC 5 durch Deutschland – mit den Scherben als Vorgruppe. Die Konzerte gingen ohne große Vorkommnisse über die Bühne. Die beiden Gruppen verstanden sich gut, ließen den Joint kreisen und spielten über ein und dieselbe Anlage – was schon damals nicht selbstverständlich war. Im Gegensatz zu MC 5 blieben die Scherben ihrem politischen Anspruch aber treu. Aus Protest gegen eine Fahrpreiserhöhung der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) veröffentlichten sie eine Schallfolie mit dem Song Mensch Meier ; eine weitere Flexidisc der Siegfried Volkskrieg Produktion enthielt den Titel Allein machen sie dich ein , den sie live mit Besetzern des Georg-von-Rauch-Hauses aufgenommen hatten; auf der B-Seite war eine für den Sanders-Film Eine Prämie für Irene geschriebene Hymne eines Frauenchors der Frauenbefreiungsfront zu hören – Frauen gemeinsam sind stark .

    »Schwarzrote Pop-Perlen.«

11 Keine Macht für Niemand
    Zurück von der Tournee mit MC 5 traten Ton Steine Scherben im März 1972 auf einem Teach-in gegen die drohende Räumung des Georg-von-Rauch-Hauses im Audimax der TU Berlin auf. Obwohl die Scherben das Haus im vergangenen Dezember mitbesetzt hatten, durften sie den Song, den sie darüber geschrieben hatten, im Audimax nicht spielen, weil »er nichts mit der Realität zu tun« habe. Der Meinung waren zumindest die Politgurus, die im Rauch-Haus mittlerweile den Ton angaben. In seinen Erinnerungen notierte Rio später verbittert: »Beim Teach-in zu spielen, das war quasi Pflicht, wir waren ja requiriert, das war wie in der DDR. Man war halt anerkannter Künstler, aber das hieß noch lange nicht, dass man sagen und singen durfte, was man wollte.«
    Die Scherben hielten sich an das kuriose Verbot, spielten aber nicht nur eigene Titel, sondern auch noch, gemeinsam mit Holly, einem Dylan- und Donovan-Interpreten, den sie in einem Schöneberger Club kennen gelernt hatten, »ein bisschen Rock’n’ Roll« – Songs wie Proud Mary , It’s All Over Now , The Weight , That’ll Be The Day , Donna , Be-Bop-A-Lula oder Blue Suede Shoes . Als sie daraufhin von ein paar Hardcore-Dogmatikern ausgebuht wurden, bot Rio an: »Wer gehen will, kann gehen, wer bleiben will, der bleibt.« Die meisten blieben.
    Zum endgültigen Bruch zwischen den Polit-Managern des Rauch-Hauses und den Scherben kam es dann auf einem Plenum im T-Ufer, als Rio einem Guru’ne brennende Zigarette ins Gesicht schnippte und ihm drohte, ihn umzubringen, wenn er weiterhin behauptete, sie würden den Trebegängern aus dem Rauch-Haus lediglich beibringen, wie man Drogen nimmt und »Strom-Gitarre« spielt.
    Mit wechselnden Schlagzeugern bestritt man die Frühjahrstour 1972 – und fand zwischendurch noch Zeit, in Hamburg ein neues Album aufzunehmen. Gerade mal drei Tage benötigten sie dafür, dann waren zehn Songs im Kasten, darunter Keine Macht für Niemand . Diese Auftragsproduktion der Bewegung 2. Juni, die die Hörer »schreiend aus den Hütten auf die Straßen treiben« sollte, damit sie »den Sturm auf die Paläste wagen«, wurde von der höchsten Kommando-Ebene der RAF als »Blödsinn, irrelevant und für den antiimperialistischen Kampf unbrauchbar« abgetan und schien der Zeitschrift Musik Szene 1987 »eher ein Mantra als eine Aussage« zu sein; zu dem Titel war Rio von einem Comic im Anarcho-Blättchen Germania inspiriert worden. Die Ballade Schritt für Schritt ins Paradies war ursprünglich für das erste Scherben-Album vorgesehen gewesen, von Rio dann aber zurückgezogen worden, weil Barbara Sichtermann, die spätere TV-Kritikerin der Zeit , und ihr Freund Jens Johler moniert hatten, Rio würde sich damit auf ein Podest stellen und den Hörer mit der Attitüde eines Besserwissers bloß belehren; ihre Anregung, dass Texte in Ich-Form Botschaften wirkungsvoller übermittelten, weil sie nicht mit dem Finger auf den Zuhörer zeigten, sondern ihm die Möglichkeit zur Identifikation ließen, hatten ihn dermaßen überzeugt, dass er den Text umschrieb und vom agitatorischen Du zum lyrischen Ich überging.
    Der Traum ist aus war Rio ähnlich im Schlaf zugeflogen wie Keith Richards der Stones-Hit Satisfaction – als er aufgewacht war, hatte er Text und Melodie im Kopf und musste ihn nur noch niederschreiben; die Scherben spielten ihn in einer einzigen Session ein, obwohl ihr neuer Drummer Olaf

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