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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
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und Nikel Pallat, ein ehemaliger Steuerinspektor, der die Band in Fehmarn gesehen und sich ihr daraufhin angeschlossen hatte, umgezogen und wohnten nun alle gemeinsam am Tempelhofer Ufer 32, wo das untergetauchte RAF-Mitglied Holger Meins noch immer polizeilich gemeldet war – was diverse Hausdurchsuchungen zur Folge hatte. Nur der eigenbrötlerische Schlagzeuger Wolf Sequenza alias Wolfgang Seidel, ein Charlie-Watts-Fan, hielt nichts vom Kommuneleben.
    Nikel Pallat hatte nach und nach das Management von Gert Möbius übernommen, schrieb aber auch Texte, die er live sang, und vertrat die Gruppe nach außen hin, etwa wenn er bei einer WDR-Diskussion über »die andere Musik zwischen Protest und Markt« eine Axt aus der Jacke zog und anfing, damit den Studiotisch zu zerhacken. Weil er einerseits die geschäftlichen Fäden zusammenhielt, die Tourneen und den Vertrieb organisierte, andererseits sich aber auch künstlerisch einbrachte, hatte er von Beginn an »eine Beziehung auf gleicher Augenhöhe« zu Rio. Nach außen war er der Sunnyboy der Band, der »Mister Gute Laune«, und nach innen ein positives Gegengewicht zu Rio, der oft ins Grübeln verfiel, eine unglückliche Liebesgeschichte nach der anderen hatte und Songs darüber schrieb: Komm schlaf bei mir .
    Zu Beginn der Scherben-Ära war Rio eine Zeit lang mit Raymond Fleschner von den Roten Steinen zusammen gewesen; die beiden hatten zusammengeklebt »wie Pat und Patachon«. Sein Coming-out hatte er dann mit einem hübschen, blonden sechzehnjährigen Einzelhandelskaufmann aus der Herrenoberbekleidungsabteilung von Karstadt gehabt.
    Im Georg-von-Rauch-Haus hatte er Andy kennen gelernt, einen Stricher vom Bahnhof Zoo, der mit einem Kumpel vorübergehend im T-Ufer wohnte, wie die Scherben-Kommune schon bald genannt wurde. Und als eine weitere Gruppe von Jugendlichen aus Rios alter Heimat Niederroden nach Berlin übersiedelte, war darunter auch ein gewisser Lost Pellkar, in den Rio sich auf Trip und zur Musik von Pink Floyds Atomheart Mother verliebte. »Der Erfinder der Pellkartoffel« war »unschuldig und schön« und überbrachte ihm »Nachrichten von der dunklen Seite des Mondes«, war blöderweise aber mit einer Moni aus Offenbach liiert.
    In der Band-Zeitung Guten Morgen antwortete Rio auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, mit einem Menschen ein ganzes Leben lang zusammen zu sein: »Ja, wenn’s nicht 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr ist.« Liebe war für ihn, »wenn Leute sich gegenseitig das Leben leichter machen, ohne was dafür voneinander zu erwarten«. Doch allzu häufig musste Rio erkennen, dass »Schwulsein bei der Linken nicht en vogue« war. Seine langen Haare erregten bei linken Studenten Anstoß, weil sie, wie sie sagten, ihre »latente Homosexualität« weckten. Und wenn er nach einem Konzert am liebsten »mit jemandem« ins Bett gegangen wäre, um nicht so allein zu sein, musste er erst noch mit den Bewohnern der WG, in der die Scherben untergebracht waren, über den politischen Kampf diskutieren.
    Hinzu kam, wie Rios Freundin Anne Reiche beobachtete, dass »Frauen, die auf Rio standen, Lanrue oder den Rest der Scherben« abstaubten, sobald sie merkten, dass Rio »vom anderen Ufer« war. So wie Christine Schily, die erste Frau des späteren Innenministers, die sich in Rio verliebte, als sie mit Schlotterer zusammen war, dem Rio mit auf den Weg gab: »Orpheus darf sich nicht umsehen, ob Eurydike ihm folgt. Tut er’s doch, dann entschwindet sie.«
    Schlotterer war nach dem Vorbild von MC 5, einer Band aus der Motor City Detroit, zum »religiösen Berater« von Ton Steine Scherben ernannt worden. Mit John Sinclair hatten die MC 5 einen Manager, der die Gruppe als Sprachrohr der »Lumpenhippies« und der »Arbeiterklasse ohne Arbeit« verstand. Anders als die Scherben vertrieben MC 5 ihr Debütalbum Kick Out The Jams jedoch nicht selbst, sondern hatten es auf dem Elektra-Label veröffentlicht – mit dem Resultat, dass sich die Ladenkette Hudson’s weigerte, es zu verkaufen, weil auf dem Cover das Wort »motherfuckers« zu lesen war, und die Band bei Elektra in Ungnade fiel.
    Vor allem deshalb und weil sie als einzige Band während der Ausschreitungen beim Parteitag der Demokraten in Chicago gespielt hatten, galten MC 5 in Deutschland als »revolutionär, modern und anders«, obwohl sie, wie ihr Leadgitarrist Wayne Kramer in Please Kill Me , der unzensierten Geschichte des Punk, eingestand, »nicht die Spur politisch korrekt« waren:

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