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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
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ahnend, dass der in angetrunkenem Zustand wenig Klassenbewusstsein zeigen und sie vom Plattenspieler nehmen und zerbrechen würde. Und als Logo der David Volksmund Produktion entwarf Gert Möbius eine Hand mit einer Steinschleuder, was viele als Anspielung auf den Kampf ihres kleinen Labels gegen den Goliath Plattenindustrie verstanden.
    Zugegeben, die frühen Texte der Scherben strotzten nur so von naivem Wunschdenken, wie Albrecht Koch 1987 in Angriff aufs Schlaraffenland schrieb, seinem Rückblick auf 20 Jahre deutschsprachige Popmusik: »Es war rührend und erregend zugleich und erzeugte eine Lust, sich anzulehnen, zurückzuschlagen, die eigene Kraft zu spüren und sich endlich zu nehmen, was einem sowieso gehört.« Doch ihre Musik »schuf ein Zuhause, die Wut war echt, die Zärtlichkeit und auch die Trauer« (Peter Möbius). Ihr Sound, so Ted Gaier von den Goldenen Zitronen, »verstärkte die unbedingte Dringlichkeit der Texte und setzte auch bei den esoterischeren oder biblischen Verheißungsnummern den Rahmen, der klar machte: Auch hier wird von Revolution geredet, nicht von Jenseitsversprechungen oder Individualkram«. Und live waren die Scherben ohnehin unschlagbar, war Rio Reiser das Nonplusultra, dem keiner das Wasser reichen konnte. Kai Sichtermann: »Wer sonst konnte so überzeugend auf der Bühne sterben und im nächsten Song die Auferstehung zelebrieren! Die Bühne, das war Rios Wirklichkeit, die einzige, die er akzeptierte.«
    Mit Angela Lutter und Werner Sauber, die sich wenig später der RAF anschlossen, hatten sie »den Zorn gegenüber jenen linken Heuchlern gemeinsam, die über Revolution schwadronierten, sich aber bedeckt hielten, sobald es auch nur so schien, als ob es gefährlich werden könnte«, schrieb Rio in seiner Autobiografie. Nach dem Tod von Georg von Rauch hatte er zusammen mit Anne Reiche Kreuzberger Häuserwände mit der Parole »Georg lebt!« besprüht, und auf ihren Konzerten verteilten Ton Steine Scherben anfangs noch Flugblätter und Propagandaschriften der RAF und riefen die Zuschauer dazu auf, ihre Personalausweise zu »verlieren«. Mit der Zeit wurden sie aber immer skeptischer gegenüber der RAF, weil der Druck, den sie auf die Scherben ausübte, Rio schlimmer vorkam als der, den er in der Lehre zu spüren bekommen hatte, und er erkannte: »Wenn du ständig ein schlechtes Gewissen hast, weil du noch nicht schreiend mit der MP losrennst, kann das nicht das Wahre sein.«
    Als Band riefen sie zu Ungehorsam, Rebellion und Umsturz auf, und so lag es nahe, dass sie im »Krieg« zwischen der RAF und dem Staat zunächst Partei für den David RAF ergriffen. Nachdem sich Schlotterer in Frankfurt aber mit Jan Carl Raspe, Holger Meins und Andreas Baader getroffen hatte, die ihn aufforderten, »mal ein zünftiges Lied für die RAF« zu machen, war ihr Verhältnis zu den Linken ziemlich angeknackst. In der Zeit vom 13. April 1984 blickte Rio zurück: »Irgendwann wussten wir nicht mehr, ob wir jetzt schreiend mit einem Maschinengewehr auf die Straße stürzen oder uns mit der Gitarre in den Rinnstein setzen sollten.« Die RAF kam ihm immer mehr wie ein Akademiker-Verein vor, und mit denen hatte er noch nie etwas anfangen können. »Ideale hatten sie schon«, resümierte er 1996 in der Südthüringer Zeitung , »doch jeder sollte sich das WIE mehr überlegen als das WAS. Ich kann keine Leute umbringen und Geiseln nehmen, um Morde, Unrecht und Unterdrückung zu verhindern.«
    Ihre Musik war aggressiv, »weil junge Menschen erst einmal emotional bewegt werden müssen, ehe sie aufmerken«, hatten sie im Februar 1971 in der B.Z. zu Protokoll gegeben. Als die RAF zu den Waffen griff und den bewaffneten Kampf in den Metropolen propagierte, legten die Scherben ihrem Album Keine Macht für Niemand jedoch ein Spielzeug-Katapult, ein »Katschi« bei.

10 Komm schlaf bei mir
    Seit ihrem ersten Auftritt auf dem Festival der Liebe , bei dem die Bühne in Flammen aufging, waren Ton Steine Scherben nahezu pausenlos auf Tournee gewesen, 1971 allein fünfmal. Ihr Debüt-Album und die Fernsehauftritte in Sendungen wie Jour fix oder Lehrlinge hatten ihnen kaum Zeit gelassen, einmal Luft zu holen und tief durchzuatmen. Denn wenn sie zu Hause waren, mussten sie die selbst produzierten Platten eintüten und das David-Volksmund-Logo auf die Etiketten stempeln, weil das wesentlich billiger war, als wenn sie die Scheiben im Presswerk verpacken und die Etiketten bedrucken ließen. Außerdem waren Kai, Lanrue, Rio

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