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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
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dass die Bundeswehr jetzt nicht mehr allein für Leichenschändungen verantwortlich sei. Und im Forum der Website rioreiser.de dichtete ein enttäuschter Fan: »Saubilliiiiiiiig und noch viel meeeehr geben sie Rio für jeden Scheißdreck her.«

23 Wann, wenn nicht jetzt?
    Das erste Jahr als Industrie-Künstler war für Rio recht erfolgversprechend verlaufen. Obwohl er 1986 bereits 36 Jahre alt war und fünfzehn Jahre lang bei Ton Steine Scherben gesungen hatte, wurde er am Jahresende von den Lesern diverser Zeitschriften zum Newcomer des Jahres gewählt, und die Emma hatte allen Ernstes überlegt, Sissy II., wie er sich im Song König von Deutschland nannte, in ihre Liste der zehn wichtigsten Frauen des Jahres aufzunehmen. Nebenbei hatte er außerdem die Musik zu Manfred Stelzers Film Die Chinesen kommen komponiert und unter dem Pseudonym Don Rione fünf Texten des ebenfalls bei CBS unter Vertrag stehenden Alan Woerner den letzten Schliff gegeben. Fast alle seine Kollegen hatten den Hut vor ihm gezogen und öffentlich verkündet, dass er sie enorm beeinflusst habe, doch sein Solo-Debütalbum Rio I. krebste bei zirka 180 000 verkauften Einheiten rum, was nicht schlecht war, verglichen mit Bap, Ulla Meinecke oder Herbert Grönemeyer, aber doch enttäuschend. Das hatten sich alle, sowohl CBS als auch George Glueck und nicht zuletzt Rio, doch anders vorgestellt.
    Als sein zweites Solo-Album, Blinder Passagier , im Herbst 1987 rauskam, war die Blütezeit des Deutsch-Rock, in der sogar Schnarchsäcke wie Klaus Lage goldene Schallplatten erhielten, schon wieder vorbei. Detlef Kinsler besprach die Platte im Musikexpress trotzdem sehr wohlwollend: »Die Endsechziger lassen grüßen mit extremen Stereo-Effekten, Mendocino -Orgel, Bandschleifen, einem White Room -Zitat, Kinderchören.« Wie ein roter Faden ziehe sich der von Rio beobachtete und »teilweise auch bissig kommentierte Zeitgeist: Passivität, Apathie, Resignation« durch das Album, schrieb Kinsler kurz darauf in einem größeren Artikel, der im Dezember unter der Überschrift »Der milde Meuterer« erschien. »›Niemand denkt hier an Meuterei‹, singt er – und scheint dabei mit nostalgisch verklärtem Blick auf die 68er-Bewegung zurückzuschauen.«
    Michael O. R. Kröher, der mit seiner Sound(s) -Kritik nicht unwesentlich dazu beigetragen hatte, dass sich das schwarze Album der Scherben anfangs so schlecht verkaufte, setzte im Schädelspalter noch einen drauf: »Rio Reiser ist und bleibt der originellste Songschreiber in deutscher Sprache, der mit Abstand beste Sänger dieser Sparte und somit der einzig wirklich zeitlos bedeutsame Rockmusiker der Republik.« Kröher lobte das Album als »vielseitig, aufrichtig, kritisch; mal liebevoll, mal bitterböse; schmissig, hintergründig, offenherzig, (selbst-)ironisch, klug, hochmusikalisch und stilsicher«, fragte sich aber, »ob Rio Reiser dank der ultraprofessionellen Produktion und der aufwendigen Instrumentierung nicht dort landet, wo seinerzeit Thommie Bayer« – jahrelang das größte Talent unter den Singer-Songwritern – endete: »im luftleeren Raum zwischen Dichtung und Wahrheit, bei der Rockmusik für’s Wohnzimmer. Also abseits der Massen, bei den eingeschlafenen Füßen.«
    Er stand mit dieser Befürchtung nicht allein da. Gleich darunter wurde ein weiteres Solo-Album rezensiert, Mick Jaggers Primitive Cool . Die Plattenkritik endete mit der Einschätzung, dass Jagger zwar »die beste Stones-LP seit Jahren« solo abgeliefert habe, ohne Keith Richards aber genauso hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibe »wie Rio Reiser ohne Lanrue«.
    Das Album enthielt eine Reihe hervorragender Songs – Blinder Passagier , Wann? , Manager , Übers Meer und Ich denk’ an dich – und war erneut von Udo Arndt produziert worden. Als Co-Produzent (in) hatte diesmal jedoch nicht mehr Annette Humpe fungiert, sondern Rio selbst, der in einem Interview mit dem Pop-Moderator Peter Illmann konkretisierte, was Albumtitel und Titel-Song ausdrücken sollten: »Wer nicht sehen will, wohin die Reise geht, wer einfach die Augen davor verschließt, wer glaubt, alles ist so, wie es schon ewig war, und glaubt, es wird ewig auch so weitergehen, der nicht die Gefahren sieht, in denen wir uns befinden, der ist ein blinder Passagier.«
    Wann? war eine intelligente Aufforderung (an sich selbst), nicht die Hände in den Schoß zu legen, sondern sich weiterhin zu engagieren, geschrieben aus der Position eines ernüchterten, wenn nicht

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