Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
die Prinzen täglich zu wechseln (und sie auch zweimal zu baden), Robert Lembke wurde durch Hans Meiser ersetzt, Helmut Schmidt durch Klaus Kinkel, Franz Josef Strauß durch Helmut Kohl, und Rudolf Scharping wusste nicht mehr, wo er hinschau’n sollte. Die Schweizer Garde um Paola und Kurt Felix wurde von Rudi Carell, Karel Gott, Gottschalk und Schalck-Golodkowski abgelöst, und er wollte auch nicht mehr lang reden, sondern »die Birne endlich mal aus der Fassung bringen«.
Der Musikkanal Viva TV weigerte sich 1996 jedoch, den Video-Clip zu König von Deutschland zu senden, weil die PDS das Lied in einem Werbe-Spot für die Wahl zum Europa-Parlament vom Knabenchor Omnibus singen ließ – was ihn aber relativ kalt ließ, weil er »nicht auf Gedeih und Verderb mit irgendeiner Partei identifiziert werden« wollte.
Das Lied wurde von Hinz und Kunz gecovert, unter anderem auch von einem Friedo, der den Text mit Rios Einverständnis und zu dessen großem Vergnügen umänderte und erzählte, was er alles tun würde, wenn er Trainer von Schalke wär. Für das Boxer-Musical Knock Out Deutschland schrieb Rio den Text 1995 sogar selbst um – der Song handelte nun von den Wunschvorstellungen eines Skinheads namens Striker.
Nach seinem Tod tauchte der König von Deutschland in einem Kreuzworträtsel der FAZ auf: »Bei der Bundeswehr gäb’ es nur noch Hitparaden / Ich würde jeden Tag im Jahr Geburtstag haben / Im Fernsehen gäb’ es nur noch mein Programm: / Robert Lembke 24 Stunden lang (Das alles und nicht viel mehr – wollt’ er machen, wenn er König von Deutschland wär’; Vorn.).« Und nachts um zwei sollten im August 2005 die Zuschauer von Sat1 raten, welchen Rio-Reiser-Song die Animateurin Sandra Ahrabian mit ihrem Bild – einer Comicfigur samt Krone plus einer Deutschlandfahne – wohl gemalt habe. Wer eine 01379-Nummer anrief, konnte 1500 Euro gewinnen – »steuerfrei und netto«.
Dem Freizeitpark Legoland erlaubten Rios Erben, mit dem Lied für sich zu werben, den Wunsch eines hessischen CDU-Politikers, den Text umzudichten (»Wenn ich Oberbürgermeister von Kassel wär«), beschieden sie jedoch ebenso abschlägig wie das Vorhaben des Kohl-Imitators Hans-Jürgen Schupps, aus dem König einen Kanzler zu machen: »Ich hol den Mantel der Geschichte aus dem Schrank / Und dann ging’s wieder aufwärts, Gott sei Dank!« Und auch Angela »Angie« Merkel durfte nicht Königin werden, so dass sie sich für den Bundestagswahlkampf 2005 bei den Stones bedienen musste.
Nicht alle hielten sich daran, wenn Änderungswünsche untersagt wurden, und feilten, wie der unsägliche Daniel Küblböck, trotzdem am Text, wohl weil der Finanzvorstand der Jack White Productions AG, Frank Nußbaum, sich und seinen Aktionären davon eine Umsatz- und Gewinnsteigerung versprach.
Sogar in einer Debatte über den Bildungshaushalt im Hamburger Stadtparlament wurde der Text zitiert, wie das Hamburger Abendblatt im Juni 2004 berichtete. »Die Vorschläge der Opposition zum Bildungsetat nannte (Robert) Heinemann ›Rio-Reiser-Anträge‹ – in Anlehnung an den verstorbenen Sänger. ›Das alles und noch viel mehr würde ich machen, wenn ich König von Deutschland wär‹, legte er der SPD-Bildungsexpertin Britta Ernst die umgedichteten Verse eines Reiser-Lieds in den Mund.«
Rios zehnter Todestag war kaum vorbei, da läutete »Europas Elektrofachmarkt Nummer Eins« mit dem abgeänderten Refrain des »König von Deutschland« eine neue Werbekampagne ein – die »größte Sauerei aller Zeiten«. In den Spots, die monatelang mit dem Einverständnis von Rios gesetzlichen Erben im Radio und im Fernsehen gesendet wurden, hieß es nun: »Saubillig und noch viel mehr – würd’ ich kriegen, wenn ich Kunde bei MediaMarkt wär’!« Damit nicht genug: Diesen Ausverkauf von Rios Idealen bezeichnete der Vorsitzende des Vereins Rio Reiser Haus auch noch als »Werbekampagne für Ton Steine Scherben und Rio Reiser«. Die waren darüber allerdings keineswegs glücklich und kommentierten die Ramschaktion der Gebrüder Möbius in »Zapp«, dem Medienmagazin des NDR: »Das, wofür Rio gestanden hat, sein ganzes Leben, seine ganze Kreativität, sein Menschsein, wenn man sich vorstellt, dass das auf die Weise, so verdreht, jetzt bei den Menschen ankommt, das ist schon mehr als traurig.« Wolfgang Seidel resümierte treffend: »Es zeigt, dass wirklich alles zur Ware wird, auch der Protest oder die Verzweiflung.« Das Satiremagazin »Extra 3« meinte,
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