Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
keinen Rio. Da hatte er es im Westen schon schwerer. Dort musste er das neue Album in Sendungen wie Karl Dalls Klamauk-Talkshow Dall-As vorstellen. Und von den Juroren Lena Valaitis, Udo Jürgens und Dieter Thomas Heck wurde er als »begabter Textdichter deutscher Sprache« nicht etwa für seine eigenen Texte mit dem Fred-Jay-Preis ausgezeichnet, sondern für jene, die er für die Schlagersängerin Marianne Rosenberg geschrieben hatte. Dabei »hat er nie versucht, wie Lindenberg eine aufgesetzte Kunstsprache als Szenejargon zu verkaufen«, bemerkte Detlef Kinsler dazu in der Frankfurter Rundschau . Er pflege vielmehr »seine eigene Sprache mit schönen Bildern und mitunter irrwitzigen Assoziationen«, zeige sich dabei als »ewiger Träumer mit wachem Geist« und dokumentiere mit feiner Ironie die Schizophrenie des Alltags.
»Ob in der Presse oder im Fernsehen, immer muss ich meine Fresse hinhalten«, beschwerte er sich im Musikexpress . Dauernd werde er auf der Straße angequatscht, er könne aber einfach nicht Tag und Nacht den Popstar spielen: »Wenn ich mich überrollt fühle, muss ich mich ins Bett legen und kann nur noch fernsehen und schlafen. Bis ich mich beruhigt habe und wieder weiß, wer ich eigentlich bin.« Zwar habe er noch nicht den Stein der Weisen gefunden, »aber zu den Typen, die mich herablassend angucken, zu den Geschäftsleuten im Intercity zum Beispiel, sage ich: ›Nee, ich bin nicht so wie ihr, und vielleicht geht’s mir damit sogar besser als euch!‹«
In der Thüringer Allgemeinen stöhnte er, dass er Festivals ganz fürchterlich fände, sich denen aber nicht ganz verwehren könne, »weil die sehr viel Geld einbringen«. Um dann kokett hinzuzufügen: »Ich habe mich verkauft, bin auf den Strich gegangen.«
27 Durch die Wand
Mit seinen Tourneen hatte er bislang kaum eine Mark gemacht, die waren stets nur kostendeckend kalkuliert und hatten immer nur der Promotion und dem Plattenverkauf gedient. Der lief allerdings von Album zu Album immer schlechter, so dass die Sony, wie die CBS nunmehr hieß, einen immer größeren Aufwand betrieb. Hubert Wandjo: »Wir hatten ja in ihn investiert und wollten das Geld zurück.« Da kam der Zusammenbruch der DDR gerade recht, entstand so doch ein ganz neuer Markt.
Da Lanrue das Handtuch geschmissen hatte, wurde Lutz Kerschowski zum »Berater des Königs« ernannt und damit beauftragt, mit der Rio-Reiser-Band das Programm für eine erste DDR-Tournee einzuüben. Am Schlagzeug saß immer noch Toni Nissl, und Rhythmusgitarre spielte erneut Manuel Lopez, den Rio sehr attraktiv fand. Jochen Hansen war jedoch ausgestiegen und hatte sich der Punkband Abwärts angeschlossen, so dass er durch Holly Wagner ersetzt werden musste, der später zu der Gruppe um Xavier Naidoo gehörte. Ebenfalls neu dabei war Volker Griepenstroh, der Christian Schneider an den Keyboards ablöste. Griepenstroh war Dozent an der Hamburger Pop-Akademie und »ein braver Klavierspieler«, aber nicht das, was man unter einem Rockmusiker verstand. Er passte eigentlich nicht zu Rio, der im selben Jahr im Spiegel anlässlich einer Rolling-Stones-Tournee schrieb: »Wer hat denn in die Welt gesetzt, dass Rock etwas mit Ordnung zu tun hat, mit Tempo halten, exakter Dreistimmigkeit, gestimmten Gitarren und gepflegten Soli? Ich nicht. Kann Jagger singen? Nein. Genauso wenig wie ich. Aber er tut’s.«
In der ZDF-Talkshow Live aus der Alten Oper Frankfurt, die von der jetzigen Sprecherin des heute-Journals , Petra Gerster, moderiert wurde, hampelte die optisch wenig attraktive Band zum Playback von Zauberland und Geld rum; in der Talkrunde saß neben Rosa von Praunheim und Manfred Krug auch »das Maschinengewehr Gottes«, Pater Johannes Leppich, der von Rio im Text von Geld ja auch zitiert wurde: »Ich will nichts klimpern hören.«
Die neue Band probte im Partyraum der Pionierrepublik Wilhelm Pieck in Werbellin, wo sie nebenbei auch den Song Ich komm nicht mehr nach Haus in einem Rutsch aufnahm, der sogleich ohne Overdubs auf die B-Seite der Zauberland -Single gepackt wurde. Anschließend ging es zwei Monate lang quer durch die DDR.
Die vom Pankow-Manager Wolfgang »Schubi« Schubert organisierte Tournee fand parallel zur Währungsunion statt und war restlos ausverkauft. Immer wieder mussten Zusatzkonzerte angesetzt werden, und mitunter wurden die Eintrittskarten, die von den Fans ohne zu murren bezahlt wurden, sogar zu Schwarzmarktpreisen gehandelt. Zum ersten Mal in seinem Leben verdiente Rio
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