Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
mit einer Tournee richtig Geld.
Unterwegs traf er immer wieder Geschäftsleute aus West-Deutschland, die sich anschickten, den Osten aufzukaufen, und nach getaner Arbeit in den Hotel-Bars auf ihre Abschlüsse anstießen. Rio nannte sie »die kleinen Füchse«, und ihr Gebaren war ihm zutiefst zuwider. Als sie wieder mal Hotelangestellte geschmiert und ihm und seiner Crew die lange vorher reservierten Zimmer vor der Nase weggeschnappt hatten, brach er auf dem Hotelparkplatz sämtliche Antennen ihrer protzigen Geschäftswagen ab.
Vom Tourneeüberschuss wollte er jedem der fünf Musiker einen nicht unerheblichen Bonus zukommen lassen, und er hatte auch schon für jeden ein Kuvert mit je 5000 Mark, das er zusammen mit einer Flasche Sekt feierlich überreichen wollte, vorbereitet, als er hörte, dass sich einige von ihnen bei Schubi beschwert hatten, weil sie angeblich ihre Gage ohne Mehrwertsteuer erhalten hätten. Daraufhin war er stinksauer. Dass jemand Angst hatte, zu kurz zu kommen, sich aber nicht an ihn, sondern an den Tourmanager wandte, fand er schier unmöglich.
Als sich die Band abends beim Griechen in Weiden traf, herrschte fast die ganze Zeit Totenstille am Tisch. »Wenn er überhaupt was gesagt hat, hat er geflucht und gebrüllt«, erinnert sich Lutz Kerschowski. Und als er sah, dass die hochgelobten Profi-Musiker aus dem Westen schuldbewusst wie kleine Kinder dasaßen, weil sie Rio nicht nur nicht zugetraut hatten, alles zu regeln, sondern ihm vor allem auch die schöne Überraschung verdorben hatten, freute er sich insgeheim. Endlich hatte der König mal auf den Tisch gehauen.
Kerschowski riet ihm, alle, ihn eingeschlossen, zu entlassen und sich eine Band zu suchen, die eingespielt sei und einen Sound habe, der zu ihm passe. Rio habe darüber gelacht, »aber er hat’s nie gemacht«. Stattdessen ließ er alles so laufen wie bisher, weil er das Chaos liebte. Das wollte er nicht begrenzen, denn daraus könnte ja jederzeit etwas Wunderbares entstehen, was man nicht planen könne. Diese Chance wollte er auf jeden Fall wahren.
George Glueck hatte sich das wohl alles etwas anders vorgestellt und war offensichtlich enttäuscht von dem »gefälschten« roten Album und von Rio, der versuchte, mit einer Band gegen den Sony-Strom zu schwimmen, die keine verschworene Gemeinschaft war, sondern eine wie wahllos zusammengestellt wirkende Gruppe von Mietmusikern. Und dann trat er auch noch in die PDS ein! Ihm kam das wie ein künstlerischer Selbstmord vor, und er forderte Gregor Gysi auf, Rio zum Ausgleich dafür, dass er als dessen »Politclown« praktisch seine Karriere beende, doch ein paar Millionen Mark zu zahlen, Geld genug hätten die SED-Nachfolger ja.
Bei der Sony drehte sich mittlerweile das Personalkarussell. Der Geschäftsführer (Jochen Leuschner), Marketing Director (Hubert Wandjo) und A&R-Manager (Fitz Braum) blieben zwar in ihren Ämtern, so manchem untergeordneten neuen Mitarbeiter, mit dem Rio im Alltag zu tun hatte, sagte sein Name jedoch nichts mehr, und die Zusammenarbeit glich mitunter einem »emotionalen Taufbad«.
Als Product Manager wurde nun jemand »auf den armen Rio losgelassen«, der gerade seine Ausbildung beendet hatte und »sowieso die Peinlichkeit schlechthin« war. Hinzu kam, dass George Glueck »partout mit dem Kopf durch die Wand« wollte und einen Crossover-Spagat versuchte, »der Rio zerrissen hat«. Glueck habe jegliche Aktivität, die an ihm vorbeigegangen sei, unterbunden, dafür gesorgt, dass die Produktionskosten für das Cover-Artwork, Fotos und Videos immer teurer wurden, und so nur »verbrannte Erde« hinterlassen. Am Ende seien nur noch Praktikanten für Rio zuständig gewesen, weil jeder Sony-Mitarbeiter, der eine Crossover-Promotion für »komplett überzogen« hielt, geschnitten wurde.
Rios PDS-Mitgliedschaft stellte für die Sony jedoch kein Problem dar. »Das fanden wir eher passend«, blickt Wandjo zurück, und außerdem verkauften sich dadurch ja seine Platten wenigstens im Osten. Dass daraufhin der Promo-Etat gekürzt worden sei, wie Rios Bruder Gert später behauptete, sei jedenfalls »absoluter Blödsinn«. Rio sei vielleicht immer verkrampfter geworden, weil ihn all seine Kollegen als großen Einfluss bezeichneten, er aber kommerziell gesehen immer weiter hinter den in ihn gesteckten Erwartungen zurückblieb. Von einem firmeninternen Boykott oder einer Zensur könne jedoch beim besten Willen nicht die Rede sein.
Gregor Gysi hatte er im Februar 1990 in
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