Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
sprang und kläffend hinter einem Unbekannten herlief, der mit einem hellen VW-Bully flüchtete, nahm Peter, der »nie recht wahrhaben« wollte, »welch großen Einfluss Drogen auf Rios Entwicklung hatten«, die Verfolgung mit einem Fahrrad auf. Erst als der Gründer der Endzeitsekte, David Berg, 1994 starb, hörte der Spuk auf.
Im selben Jahr gab Rio dem Berliner Stadtmagazin Zitty ein Interview, in dem er einräumte, dass ihm Drogen geholfen hätten, selbstbewusster zu werden. Meskalin hatte ihm einst einen »Zustand mystischer Klarheit« beschert und seinen weiteren Weg als Musiker beeinflusst. »Ich wollte nicht länger als ›Vehikel‹ für politische Programme dienen. Ich wollte die Welt selbst interpretieren und mit meinen musikalischen Mitteln verändern.«
LSD hatte er erstmals am Karsamstag 1970 probiert, zusammen mit Raymond Fleschner von den Roten Steinen, der von Beruf Steinsetzer war und ihm »genauso gut ein Ticket zu den Orinoko-Indianern« hätte anbieten können. »Durch den Trip kam so eine telepathische Beziehung zu Raymond auf«, der nur einen Satz pro Stunde sprach, über den dann aber alle lachen mussten, weil er genau den Punkt traf. Rio war aber klar genug gewesen, sich ihn auch aufzuschreiben: Ich will nicht werden, was mein Alter ist .
Der Zeit entsprechend hatten die Scherben auch vor psychedelischen Experimenten nicht zurückgeschreckt. In einem Gespräch mit Wolfgang Seidel berichtete die Autorin (Neurosen zum Valentinstag) und Sängerin von Stereo Total, Françoise Cactus, dass sie in den siebziger Jahren die Scherben einmal in Fresenhagen besucht habe. Sie hatten wohl mal wieder Stechäpfel oder Tollkirschen gegessen, so dass »alle nicht mehr richtig gucken« konnten und »halb blind« waren.
Als er den ersten Joint seines Lebens rauchte, hatte Rio »vorschriftsmäßig« Musik gehört und dann alles in Farben gesehen. »Das war eine gute Erfahrung, denn wenn ich heute im Studio arbeite, verständige ich mich oft durch optische Sachen, um zu beschreiben, wie was klingen soll«, erläuterte er der Musik Szene 1987 seine Arbeitsweise.
Solche guten Erfahrungen hatte er mit einer anderen Droge nicht gemacht – Alkohol. Ein Jahr zuvor, 1986, war er im Schädelspalter -Interview gefragt worden, ob er vor Auftritten heimlich Drogen nehme. »Ich trinke meine Schorle«, hatte er da gesagt, schließlich sei es immer eine Frage der richtigen Dosierung. Auf der Bühne sei er meistens aber wieder nüchtern. Bei Kokain, das er schon aus Rücksicht auf seine Stimme nicht nehme, bekäme er jedenfalls stets einen Brechreiz – »vor allem wenn es schlechtes Koks ist«. Und wenn er Haschisch rauchte, würde er sich fragen: »Warum stehe ich hier eigentlich auf der Bühne? Gibt es irgendwelche Gründe außer dem schnöden Mammon?«
Wenn’s nur bei der einen Schorle geblieben wäre. Schon zu Scherben-Zeiten hatte Rio mit dem Kiffen aufgehört und stattdessen, wie alle anderen, im Übungsraum oder Studio Jim Beam getrunken. Auf Tournee hatten Rio, Lanrue und Kai oft gleich nach dem Frühstück den ersten Underberg in sich reingekippt. Später trank er dann, auch da war er keine Ausnahme, gerne Tullamore Dew oder Grappa und schließlich Martini oder, wenn der nicht zu bekommen war, eben Cinzano.
»Wenn er mal halbwegs nüchtern war, hat er ›nur‹ zehn Flaschen Wein pro Woche getrunken, das war dann mal’ne Leistung«, erinnert sich Misha Schöneberg. Dann sei er »ein richtig lieber, netter Mensch« gewesen. Sobald aber Leute dazukamen, wurde erst mal gesoffen. Dann habe er mitunter Schaum vorm Mund gehabt und konnte richtig widerlich werden. »Der Alkoholrausch ließ das Dunkle und Böse in ihm zum Vorschein kommen«, so Schöneberg.
Über alle Drogen konnte Rio reflektieren und auch immer wieder Abstand zu ihnen gewinnen. Nur nicht über Alkohol. Nachdem er gelesen hatte, dass Goethe sein Viertele Wein zum Arbeiten brauchte, wollte er das auch. Nur blieb es bei ihm nicht bei einem Viertele. Und wenn man sich um seine Gesundheit sorgte und sich weigerte, Alkohol heranzukarren, meinte er: »Nimm einem Künstler seine Droge nicht weg!« Dann bedrohte man seine Kunst. An diesem Punkt »hatten wir dann richtig Zoff«, erzählt Schöneberg, »denn ich sah ihn als so viel größer an – als einen Künstler, der aus der Fülle seiner Seele schöpft«.
»Wenn er getrunken hatte, war dem keiner gewachsen«, findet auch Hannes Eyber. Zum Schluss sei er gezeichnet gewesen vom Alkohol, und sein
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