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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
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schrieb Rio ganze Hefte mit Ideen und Fragmenten voll. Wenn es an die Ausarbeitung der Songs und Texte ging, dachte er erst im Bett oder in der Badewanne darüber nach, bevor er sie in seinem Arbeitszimmer niederschrieb oder auf dem Klavier komponierte, umgeben von Büchern über Muhammed Ali, die großen Cäsaren, Mutter Teresa und die Welt der Naturgeister, von Goebbels’ Tagebüchern, Karl Mays gesammelten Werken und Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit .
    Bislang hatte er sich vor jedem Gang ins Studio von »Managern und Produzenten« beraten lassen und sich »mit Rücksicht auf die kommerziellen Interessen anderer Beteiligter vor der Verantwortung gedrückt«, wie er dem Neuen Deutschland 1996 verriet. Diesmal interessierte ihn das jedoch nicht mehr. Die Arbeit sollte wieder Spaß machen, und so trommelte er wieder die Besetzung zusammen, mit der er seine bis dahin besten Solo-Alben, Rio I. und Blinder Passagier , aufgenommen hatte.
    Curt Cress war geradezu glücklich, dass er mal wieder richtig auf die Felle hauen konnte und sich nicht wie bei Roger Whittaker bremsen musste. Und Jan Bajen staunte, weil jeder Song nur einmal geprobt wurde und beim zweiten Mal im Kasten war. Am 24. Dezember verkrochen Rio und Udo Arndt sich im Berliner Audio-Studio, »bis an die Zähne bewaffnet mit Keksen, Nougat, Marzipan, Espresso und Lebkuchen«, und verließen es erst wieder an Rios Geburtstag, dem 9. Januar, als das Album komplett abgemischt war.
    Es ist Rios bestes Solo-Album geworden. Endlich hatte er seinen Sound gefunden, nach dem er so lange gesucht hatte. Statt Songs von Bob Dylan nachzuspielen, kümmerliche Hits von Techno-DJs aufmöbeln zu lassen oder seichte Freiheitshymnen zu sülzen, wie das Niedecken, Grönemeyer und Westernhagen getan hatten, ließ Rio sich von Spielmannsliedern und Tanzmusik aus der Renaissance inspirieren und kombinierte Bänkelgesänge mit Rockmusik, was er selbst auf den Nenner brachte: »Es ist mein Stil, verschiedene Stile zu benutzen.«
    Himmel & Hölle enthielt mit Eislied , Schlacht , Himmel und Erde und dem großartigen Gefahr (das einem Credo gleichkommt) Songs, die er für Die Braut der Brüder geschrieben hatte; dieses Singspiel seines Bruders Peter, das frei nach der West Side Story , Friedrich Schillers Braut von Messina und einem orientalischen Märchen die Auseinandersetzungen zwischen Türken und Neonazis thematisierte, wurde im Dezember 1995 in der Alten Synagoge Essen von Jugendlichen aus zwölf Nationalitäten und acht Glaubensbekenntnissen uraufgeführt.
    Der Song Träume war die Titelmelodie zu einem ARD- Tatort und musste für die Single-Auskopplung fast halbiert werden. Produzent Udo Arndt: »Rio wollte keine kurzen Liedchen mehr schreiben, ihm wurde die Musik wichtiger, auch weil in Deutschland alle immer nur über die Texte reden. Gleichzeitig mussten die Songs für die Radiosender leider immer kürzer sein.«
    Mit Straße verarbeitete er die Trennung von Niels, der ihn mit dem Satz »Ich bring mal eben Lutz zum Bahnhof« verlassen hatte und nicht wieder aufgetaucht war; jenen Lutz (Kerschowski), dem Rio später anvertraute, dass Niels seine »Phase der Todessehnsucht« gewesen sei. Der Song kam allerdings so beschwingt daher, dass man unwillkürlich den Eindruck hatte, Rio sei froh und erleichtert gewesen, dass dieser Alptraum endlich vorbei war.
    Streik war »ein fröhliches Kampflied für den Hausgebrauch« und »eine Absage an jegliches Funktionieren« – nicht nur, was Rio und die Erwartungen, die an ihn gestellt wurden, betraf, sondern auch an das Funktionieren »in Beziehungskisten jeglicher Art«.
    Und mit Hoffnung dankte er schließlich als König von Deutschland ab: »Nehmt mir die Krone weg, nehmt sie zurück, ich kann euch nicht führen, denn ich weiß den Weg nicht.«
    Auf dem Cover ließ Rio sich als Der Gehängte abbilden, einer Figur aus dem Tarot, die symbolisiert, dass er aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurde, weil er versucht hat, sich von seinen Mitmenschen zu unterscheiden, zugleich aber auch auf eine Umwandlung der Lebenssituation hindeutet und auf die Begegnung mit dem Tod vorbereitet.
    Das Album wurde von Sony erneut groß beworben. In einer Anzeige im Branchenblatt Musikwoche wies man die Händler auf den Tatort hin und versprach ihnen eine »intensive Pressepromotion«, Anzeigen im Rolling Stone , im WOM-Journal und in Stadtmagazinen, Posterkampagnen in Großstädten, ein EPK-Video und ein Viva-Special. Abgesehen von einem Rolling

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