Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
Zustand schon extrem desolat. Doch Rio habe bis zuletzt geglaubt, die Sauferei im Griff zu haben. »Der Dämon hat ihn ganz schön gewalkt.«
Beim Schreiben habe er immer seinen Pegel gehalten, betrunken war er nur, wenn jemand was von ihm wollte oder Schnaps mitbrachte. Dann konnte man »die Uhr danach stellen, wann Rio ins Bett ging oder ohnmächtig wurde«. Das sei ja gerade das Phänomen bei schweren Alkoholikern, dass sie sich zusammenreißen könnten und phasenweise blitzklar seien, »klarer als du und ich«. Als er mit ihm einmal darüber gesprochen habe, ob er nicht eine Therapie machen wolle, habe er, Eyber, dabei Wein getrunken, weil ihm das Gespräch so schwer gefallen sei, Rio jedoch nicht. Der habe ihn am Ende vielmehr gefragt, wer von ihnen denn nun eigentlich besoffen sei. »Als Freund«, sagt Hannes Eyber mit leiser Stimme, fast flüsternd, »als Freund hat man sehr die Augen zugemacht.« Da sei er nicht mehr an ihn rangekommen, »da war ich nicht der richtige Mann«.
»Wenn Rio besoffen war, redete er auch dummes Zeug, war eklig und gehässig, aber das kam selten vor.« Wenn er mit ihm zusammengearbeitet habe, sei das zumindest nie der Fall gewesen, erinnert sich Peter Möbius. Getrunken habe sein Bruder nur, »weil er unglücklich war, sich ein Ventil schaffen wollte, um etwas rauszubrüllen und die Welt anzuklagen«. Dann sei seine »böse Seite« zum Vorschein gekommen. »Ich habe ihn nicht als Alkoholiker erlebt. Über seine Gefühle hat er, wie mein Vater, gar nicht so viel erzählt. Ich habe von seinem Unglück, von seinen vielen Affären so gut wie gar nichts mitgekriegt.« Als Rio einmal mit seiner, Peters, Tochter aus London zurückgekommen sei, habe er allerdings schon morgens angefangen zu trinken. Sein Freund Niels habe dann eine Flasche Martini geholt, und weil er so unausstehlich gewesen sei, habe er, Peter, ihn, Rio, an ihre Großmutter erinnert, die im späten Alter immer Klosterfrau Melissengeist getrunken und dann nicht mehr gewusst habe, was sie tue. Sie habe dann ebenfalls gehässiges Zeug geredet, sei furchtbar eifersüchtig gewesen und habe Freunden an den Haaren gerissen.
»Er hat nicht genug Liebe gehabt, das hat nicht gereicht, das hat ihn unglücklich gemacht«, glaubt Peter Möbius. Doch er habe versucht, »diese Gefühle im Brechtschen Sinne als Fundus zu nehmen und mit der Vernunft zu klären«.
Bruder Gert sieht das ähnlich. Rios Alkoholproblem würde »reichlich übertrieben«. Es sei ja nicht so gewesen, dass er von morgens bis abends Schnaps getrunken habe, »wie Maffay, der [zeitweise] zwei Flaschen Whisky am Tag trank«. Rio habe das ja nur getan, »wenn er sich geärgert hat«. Alkoholiker sei er jedenfalls nicht gewesen. Und nachdem er »diese Lebergeschichte« gehabt habe, »durfte er ein halbes Jahr sowieso gar nichts trinken«.
R.P.S. Lanrue
32 Träume erfrieren
Den entscheidenden Anruf erhielt Jan Bajen am 9. Oktober 1994 gegen 16 Uhr. Im Mai war er von Altona im Sauerland nach Fresenhagen gefahren, um vier Schallplatten zu kaufen. Lanrue hatte sich gewundert, dass da jemand 1000 Kilometer fuhr, um vier Platten zu erwerben, die er in fast jedem Laden kriegen konnte, und den sonderbaren Jungen mit seiner neuen VideoKamera »gecastet«.
Jan hatte die Angelegenheit schon fast vergessen, als Rios Sekretärin Tina Aldag ihn im Juli darauf anrief und sich nach seiner Adresse erkundigte, die man verschlampt hatte. Und nun war Lanrue am anderen Ende der Strippe und teilte ihm mit, dass sie ihn bräuchten – am nächsten Morgen um sieben Uhr. Jan setzte sich sofort in seinen Wagen und fuhr los.
Geplant war, dass er erst einmal eine Woche für Rio als »Fahrer und Adjutant«, so stand es in seinem Arbeitsvertrag, zur Verfügung stehen sollte. Als Privatsekretär sollte er ihn chauffieren, sich um Rios Hund Alfa kümmern, kochen und allgemein dafür sorgen, dass es Rio gut ging und es ihm an nichts fehlte.
Wegen seines sonnigen Gemüts wurde er schon bald »Jan Fun Bajen« genannt, und später, als sie sich ineinander verliebt hatten und er darauf achtete, dass Rio sein Geld nicht weiterhin zum Fenster rauswarf, mitunter auch »der Schotte«.
Rio arbeitete damals an seinem letzten Album, das er der Sony noch »schuldete«, schloss sich in seinem Arbeitszimmer ein und durfte nicht gestört werden. Jan war der Einzige, dem es gestattet war, den Raum zu betreten, aber auch nur stillschweigend, um ihm etwas zu essen und zu trinken hinzustellen.
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