Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
Wort zum Montag« schrieb der Fernsehpfarrer Jürgen Fliege später: »Ich träume immer noch davon, dass im Berliner Dom ein feierliches Requiem für ihn stattfindet – mit den Repräsentanten des Volkes … dass der Sarg mit den sterblichen Überresten von Rio Reiser für heut’ und alle Zeit in der Gruft unterm Dom beigesetzt wird. Da, wo Deutschlands Könige und Kaiser ruhen! Und auf dem Sarg ein Schild mit vollem Adelstitel: ›Rio Reiser von Ton Steine Scherben‹.«
Mit diesem Nachruf bestätigte der Fernseh-Pfaffe mal wieder, dass »gut gemeint« das Gegenteil von »gut« ist. Denn was hatte Rio Reiser mit den Repräsentanten des Volkes zu schaffen, mit deutschen Königen und Kaisern oder dem Adel? Eine grausige Vorstellung: Rio, zu Grabe getragen von Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Roman Herzog, von Leuten also, die er zeit seines Lebens mit seinen Liedern bekämpft hat. Aber dazu war es ja Gott sei Dank nicht gekommen.
Rio Reiser wurde in Fresenhagen beerdigt und nicht in Berlin. Superintendent Alfred Buß aus Unna, ein »kämpferischer Christ« und zugleich »ranghöchster Pastor in NRW«, würdigte ihn als »Streiter für die Integrität des Menschen« und tröstete die Hinterbliebenen damit, dass wenigstens seine Musik, »die aufmüpfig und voller Menschlichkeit und Liebe zum Leben war«, bleiben würde. Seine Predigt, die später in einer Sammlung berühmter Grabreden nachgedruckt wurde, gipfelte in dem Satz: »Keine Macht für niemand – auch nicht für den Tod.«
Zum Abschied erklang Rios Sternchen -Lied vom Band, in dem er singt: »Und wenn ich wiederkehre, begrüße mich mit einem Sonnenstrahl.« Dann wurde der mit roten Rosen, Margeriten und Sonnenblumen geschmückte Kiefernsarg hinausgetragen und mit dem Leichenwagen nach Fresenhagen transportiert, wo Rio unter einem Apfelbaum hinter dem Haus beerdigt wurde.
Das hatte er sich, behauptet zumindest sein Bruder Peter, einst so gewünscht, auch wenn dies beispielsweise von Lanrues Schwager Manne Praeker in Frage gestellt wird, dem Rio mal erzählt haben will, er könne sich auch vorstellen, neben Brecht und Hegel auf dem von Wolf Biermann besungenen Hugenottenfriedhof in Berlin zu liegen.
Die Genehmigung, ihn auf dem eigenen Grundstück bestatten zu dürfen, war in letzter Minute per Fax von ganz oben eingetroffen, womit in diesem Fall die damalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis, gemeint ist. Und darauf, dass es in ganz Deutschland nur zwei Persönlichkeiten gibt, die auf ihrem eigenen Grund und Boden beerdigt wurden, Franz Josef Strauß und Rio Reiser, sind die Gebrüder Möbius bis heute stolz. Aber warum? Weil damit die Auflagen verbunden waren, dass das Grab jederzeit besucht werden könne und das Haus in einen kulturellen Veranstaltungsort verwandelt werden müsse? Lanrue wollte schon damals nicht auf einem Friedhof leben und hatte einen anderen Platz für das Grab des Freundes vorgeschlagen. Peter Möbius erhoffte sich davon jedoch, dass so Rios »Traum von der Freien Republik Fresenhagen erhalten bleibt«.
Dass die drei Möbiusse jeweils Respekt vor der künstlerischen Leistung des anderen hatten, ist nicht nur für Nikel Pallat unbestritten. Jeder habe seine Identität und seine eigenen Stärken. Gert sei ein exzellenter Grafiker, Bühnenbauer und Drehbuchautor, Peter ein im positiven Sinne durchgeknallter Theatermacher mit Dialoggefühl und einer extremen Phantasie, und Rio war bei ihren Projekten von klein auf eingeplant und stets zur Stelle, wenn sie ihn brauchten. Kein Wunder, dass er beiden noch immer im Traum erscheint und er Peter in der Pariser Metro oder in New York begegnet, wo er vom ältesten Bruder beschimpft wird, »dass er uns so verarscht hat, dass er so tat, als wenn er gestorben sei – und einfach nur untergetaucht ist«. Dieser Traum ist noch immer nicht aus.
Man glaubt es ihm unwillkürlich, wenn Peter Möbius sagt, dass er mit keinem anderen so gut zusammengearbeitet habe wie mit Rio. War Rio wirklich ein »Vorbild für junge Leute, zu sich selber zu stehen und sich zu wehren«? Oder hat er nicht gerade darunter gelitten, dass ihm das nicht gelang? Und hat Wiglaf Droste schließlich nicht Recht, wenn er schreibt, dass auch Rio »postum das Schicksal erlitt, zu dem Nazarener Schmerzensmann der Irgendwielinken gemacht zu werden, der er nie war noch jemals sein wollte«?
Dass heutzutage im Hause Sony manch einer glaubt, Rio habe mit dem König von Deutschland einen
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