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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
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stammt wahrscheinlich aus der Zeit um 180 v. Chr. und wurde wohl in Jerusalem verfasst. Auf der Seite, die Peter Möbius aufgeschlagen vorfand, befinden sich allerdings noch weitere Erfahrungen des vorchristlichen Weisheitslehrers, die Rio möglicherweise ebenso zu denken gaben. So steht im Kapitel über Krankheit und Tod geschrieben: »Mein Sohn, prüfe dich in deiner Lebensweise,/ beobachte, was dir schlecht bekommt, und meide es!« Und wir lernen weiterhin, dass Unheil aus Kummer entsteht, weil »ein trauriges Herz« die Kraft bricht, und dass »dauernder Kummer« schlimmer als der Tod und ein leidvolles Leben »ein Fluch für das Herz« ist.
    In den nächsten Tagen waren die Zeitungen und Magazine voll mit Nachrufen auf den »genialsten deutschen Rocksänger«. Udo Lindenberg würdigte ihn als Pionier des deutschsprachigen Politrocks: »Rio Reiser stand mit seiner Musik für feinste Randale und gnadenlosen Straßenkampf.« Blixa Bargeld bekannte im Spiegel : »Ich habe noch nie jemanden in Deutschland singen gehört und gesehen, der wie Rio in der Lage war, innerhalb von Sekunden eine intime Beziehung, geradezu eine Liebesbeziehung, mit jedem einzelnen Zuhörer aufzubauen. Charisma ist eine Fähigkeit, die sich nicht erlernen lässt.« Herbert Grönemeyer fand: »Er war unser bester Texter.« Heinz Rudolf Kunze vergoss Krokodilstränen und merkte an, dass »sein Einfluss nicht zu unterschätzen« sei, »da er sehr viel mehr Spuren hinterlassen« habe »als manche, die Millionen Platten verkauft haben«. Und Wolfgang Niedecken erinnerte sich an ein Scherben-Konzert in der alten Kölner Uni-Mensa: »Sie hatten kilometerlange Haare.«
    Gehaltvolleres war in den Feuilletons zu lesen. Im Neuen Deutschland schrieb Jürgen Eger: »Wieder ist eine große Rockstimme, voller spröder Zärtlichkeit für die Menschen, für immer verstummt. Eine Stimme, die oft verzweifelt klang, aber auch die eines anarchistischen Barrikadensängers, der mit plebejischem Witz den Herrschenden wenigstens die letzte Pointe nicht ließ, wenn sie schon immer und immer wieder das letzte Machtwort sprachen.«
    In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war man der Meinung, dass er sich mit seinem Gesang dem populären Genre angenähert, aber »an manch giftigen Polit-Invektiven« festgehalten habe. Und selbst in England zollte man ihm Respekt, da war er für den Guardian »the most influential musician of his generation, making German rock music fashionable for the first time among the radical and politically aware young«.
    Für Barbara Sichtermann, die Schwester des Scherben-Bassisten, war indes die Zeit irgendwann in den Siebzigern stehen geblieben: »Seine kreativste Zeit war die mit Ton, Steine, Scherben.« Selbstredend schrieb sie, die sein Schaffen nach der Auflösung der Scherben wohl nicht mehr verfolgt hatte, den Bandnamen noch immer falsch – mit Kommata.
    »Treuer als mancher seiner Freunde« blieben hingegen das Bundeskriminalamt und seine Mitarbeiter, die sogar schriftlich kondolierten. »Von denen, die ihn immer begleitet haben«, stand auf der Trauerkarte.

35 Sternchen
    Im Moment des Todes kehrt man in den Schoß der Familie zurück. Dann tauchen manchmal Angehörige auf, die, als der Verstorbene sie gebraucht hätte, sich nie blicken ließen, nun aber die Regie an sich reißen und die Freunde, mit denen er zusammengelebt hat, auf die hinteren Bänke verbannen. Und wenn er auch noch schwul war, versuchen seine Eltern, die im Leben nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten, häufig den Eindruck zu erwecken, ihr Sohn sei ganz »normal«, heterosexuell, gewesen. Dann wird die Trauer um den Verstorbenen auch noch von einer unerträglichen Piefigkeit überschattet.
    Bei Rio Reisers Beerdigung war das nicht der Fall. Sein letzter Freund, Jan Bajen, durfte zusammen mit Rios Brüdern Gert und Peter Möbius und Mutter Erika in der ersten Reihe Platz nehmen, und es wurde auch nicht verschwiegen, dass Rio »anders« war. Dass die Trauerfeier für einen, der sich nicht konfirmieren ließ und nie einsah, warum er Kirchensteuer zahlen musste, der mit dem Klerus »nichts am Hut« hatte und sich nicht nur mit der Kabbala beschäftigte, sondern, wie Hannes Eyber sagt, auch gerne Jude gewesen wäre, dass die Trauerfeier für einen Abtrünnigen also in der Sankt-Willehad-Kirche in Leck stattfand, überraschte aber wohl doch den einen oder anderen von Rios Freunden, die gekommen waren, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
    In seiner B.Z. -Kolumne »Das

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