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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
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diese Zusage allerdings nicht erinnern, nur daran, dass er mal einen fünfstelligen Betrag gespendet habe.) Und es wurde darüber diskutiert, einen Rio-Reiser-Preis für den Polit-Song des Jahres auszuloben.
    Was und wer damit ausgezeichnet werden sollte, darüber gab es extrem unterschiedliche Vorstellungen. Manche meinten, der Preis solle »nicht unbedingt an professionelle Künstler vergeben werden«, andere, dass jedes Jahr ein anderer Schwerpunkt gesetzt werden könnte, um »der Vielfalt des künstlerischen Schaffens von Rio gerecht zu werden«, und Lanrue konnte sich sogar einen Preis »für den schönsten Roadie« oder »den besten Catering-Betreuer« vorstellen und schloss auch einen »Verräterpreis« mit »Verleihung der Verräternadel« nicht aus. In einer Pressemitteilung hieß es dann aber schon bald, »der Verein« habe beschlossen, einen Preis »für den besten deutschsprachigen Song des Jahres« zu stiften. Er sollte in zwei Kategorien vergeben werden, als »Medienpreis für den besten Song des Jahres« und als »Nachwuchs-Förderpreis«. Der Sieger-Song des Nachwuchspreises sollte »professionell aufgenommen, als CD auf den Markt gebracht und fachgerecht promotet« werden. In der Ausschreibung hieß es dann gar: »Wenn ihr ›König von Deutschland 1997‹ werden wollt, schickt ein Demo ein …«
    Als sich die Jury Mitte Juli 1997 schließlich in Hamburg zusammensetzte, gingen die meisten Juroren davon aus, dass der Preis als Nachwuchswettbewerb ausgeschrieben worden war. Aus 27 Teilnehmern, die es in die Endauswahl geschafft hatten, wählte sie sieben aus, die ihren Beitrag im September auch live vorstellen könnten; von Jury-Mitgliedern nominierte Kandidaten wie Stoppok, die Einstürzenden Neubauten oder Die Zöllner wurden nicht mehr in Betracht gezogen, weil sie keine Zeit hatten, auf einer für den 6. September anberaumten Veranstaltung aufzutreten, sich nicht selbst beworben hatten oder bereits zu »etabliert« waren. Über Sinn und Zweck des Preises wollte sich nun niemand mehr Gedanken machen, und aus Respekt gegenüber Rios Familie wurde auch der Konflikt gescheut – eine Auszeichnung des »besten« deutschsprachigen Songs hätte zum Eklat geführt, und die bereits angesetzte Preisverleihung im Tempodrom wäre geplatzt. Was ursprünglich als Alternative zu den von Volkswagen oder Versicherungen gesponserten Nachwuchswettbewerben und den Preisverleihungen der Plattenindustrie gedacht war, endete somit als Farce. Wer den Preis schließlich erhielt, spielte schon keine Rolle mehr, die hektisch organisierte Veranstaltung brachte nur mäßigen Erfolg, und es sollte vier Jahre dauern, bis wieder ein Songpreis ausgelobt wurde.
    »Wie sollte man authentisch sein Lebensgefühl in einem Song ausdrücken, wenn man nicht ehrlich sagt, was einen bewegt«, hieß es in der Ausschreibung des Rio-Reiser-Preises 2001, »wie sollte man Lieder machen, die ›zu Herzen‹ gehen oder sich selbst und andere auf die Straße treiben, wenn man nicht davon singt, wie man sich zu Hause fühlt – in seiner Heimat, die man liebt oder die man hasst, nach der man sich sehnt oder die man nie wieder sehen will?«
    Die Presseerklärung schloss in diesem Jahr mit dem Aufruf »Besingt die Heimat«, und der Preis wurde gesponsert vom »Verein Deutsche Sprache e. V.« (VDS), einer »Vereinigung eifernder Sprachdesinfizierer, die einen heroischen Feldzug wider Anglizismen und Amerikanismen führt«, von einer »Selbstdemütigung der Deutschen« fasele und das Schreckgespenst einer »kulturellen Durchmischung« an die Wand male, wie Wolfgang Doebeling 2003 im Rolling Stone mit nur zweijähriger Verspätung erkannte.
    Wolfgang Seidel, den allerersten Schlagzeuger von Ton Steine Scherben, wunderte das nicht: »Wir waren antiautoritär und antikapitalistisch und erst in zweiter Linie deutsch. Dreht man dieses Verhältnis um, hat man eben solche Ideologen am Hals, denen es um die Nation geht, nicht um die Menschen.«
    Weitere zwei Jahre später wurde erneut eine Auszeichnung »für die besten deutschsprachigen Songs« vergeben, »die Rio Reisers weltoffenen, humanistischen und poetischen künstlerischen Ansatz entsprechen«. Diesmal wurde der vom Verein Rio Reiser Haus veranstaltete Wettbewerb von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt, und in der Jury saß unter anderem ausgerechnet der Liedermacher Reinhard Mey, den Rio einst als »des Königs Barde« verspottet hatte, weil er in seinen deutschen Chansons die

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