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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
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auch nonverbal funktioniert, und im Prinzip hatte es genügt, wenn sie sich einmal im Jahr trafen, um alles zu besprechen, was mit dem Hof zu tun hatte, der ihnen gemeinsam gehörte.
    Am Abend vor Rios Tod hatte Lanrue sich bei Rios Freund Jan erkundigt, ob alles okay mit ihm sei. Nachdem der das bejaht habe, grillte er im Garten hinter dem Haus, zusammen mit seiner Freundin Tanja Ferkau, dem Dichter Peter Holler und dessen Freundin. Dass Jan nach dem Grasmähen die Sense mit dem Blatt nach oben am Haus abgestellt hatte, war zunächst keinem aufgefallen.
    Rio habe seit zwei Tagen an seinem neuen Album gearbeitet und sei genervt gewesen, berichtet Jan Bajen, als Holler ihn gefragt habe, ob er nicht mitgrillen wolle. Er habe sich in seiner Kreativität gestört gefühlt und wollte einfach nur seine Ruhe haben. Nachdem Bajen ihm Brühe, Tee und einen Vitaminring serviert hatte, habe er ihm gesagt, er solle ruhig mal zu den anderen gehen und feiern.
    Dass er sich an seinem letzten Abend nicht besonders wohl gefühlt habe, sei jedenfalls nicht besorgniserregend gewesen. Auf Entzug sei es ihm in den ersten Tagen der Abstinenz halt immer »ein bisschen schlechter« gegangen. Er, Jan, habe den Entzug aber »knallhart durchgezogen« und die letzten Reste Martini in den Ausfluss gekippt. Einen Arzt habe er jedoch nicht holen sollen.
    Während Rio im Vorderhaus in seinem »schwedischen Bett« lag und sich mit Jan Bajen bis zum frühen Morgen ausmalte, wie es wäre, wenn sie mit einem Zeppelin um die ganze Welt reisten, legte Lanrue im Hinterhaus eine Platte auf, die er »nur alle zehn Jahre mal« hört – Mozarts Requiem , das der kurz vor seinem Tod komponiert und dessen Uraufführung er nicht mehr miterlebt hatte.
    Am nächsten Tag war es sehr warm und schwül, ein Wetter, das mächtig auf den Kreislauf drückt, besonders bei alten und schwächelnden Menschen. Rio zog es deshalb vor, im Haus zu bleiben, und schickte Jan morgens los, um ihm zwei Liter Cola zu besorgen. Vormittags spuckte er Blut und einen Hautfetzen von der Größe eines halben Pfennigs, doch Rio sei davon überzeugt gewesen, dass es ihm schon bald besser gehe. Am frühen Nachmittag schickte er Jan erneut los, diesmal mit Alfa, seiner schwarzen Tibet-Terrier-Hündin, damit die etwas Auslauf bekam. Als dieser zurückkam, fand er Rio tot vor. Eine Obduktion wurde nicht durchgeführt, so dass die genaue Todesursache ungeklärt blieb. Im Totenschein sollen laut Bruder Gert ein »Kreislaufzusammenbruch« und ein »Herzstillstand« vermerkt sein.
    Jan holte sofort Tanja Ferkau zu Hilfe und versuchte, Rio per Mund-zu-Mund-Beatmung wieder zum Leben zu erwecken, aber es war bereits zu spät. Als ein Arzt eintraf, konnte er nur noch den Tod jenes Mannes feststellen, der einst der König von Deutschland war.
    Gert Möbius befand sich gerade am Set einer Polizeiruf -Folge, für die er das Drehbuch geschrieben hatte, als er am 20. August 1996 gegen 16 Uhr von Jan Bajen darüber informiert wurde, dass sein Bruder gestorben sei. Möbius holte seine beiden Töchter von der Arbeit ab, machte sich sofort auf den Weg und traf um Mitternacht in Fresenhagen ein.
    Bevor er am nächsten Morgen zum Krankenhaus nach Niebüll fuhr, steckte er Rios Handy ein, obwohl er sich – wir schreiben das Jahr 1996 – mit Mobiltelefonen noch nicht sonderlich gut auskannte. Er wollte gerade das Krankenhaus betreten, da klingelte es plötzlich. Möbius nahm ab – und hörte einen schrillen Schrei. Verschreckt versuchte er, das Handy wieder auszuschalten, was ihm aber erst gelang, als er die Batterie entnahm. Bis heute glaubt er, dass er durch diesen Schrei davon abgehalten werden sollte, sich mit dem zuständigen Arzt über Rios Todesursache zu unterhalten.
    Am selben Tag traf auch Peter Möbius in Fresenhagen ein. In Rios Arbeitszimmer fand er die Bibel vor, in der er täglich gelesen hatte, »weil es das entscheidende Buch in unserem Kulturkreis ist« und er sein Sprachgefühl an der sehr kräftigen, bunten und lebhaften Luthersprache schulte. Sie war bei Jesus Sirach aufgeschlagen: »Die Wurzel der Pläne ist das Herz. Vier Reiser wachsen daraus hervor: Gutes und Böses, Leben und Tod. Doch die Zunge hat Gewalt über sie alle.«
    Die »lockere Sammlung von Lebens- und Verhaltensregeln«, mit denen sich ihr Verfasser, ein Weisheitslehrer namens Jesus, Sohn Eleasars, des Sohnes Sirachs, vor allem an die Jugend wandte, »um sie für die Aufgaben und Schwierigkeiten des Lebens zu erziehen«,

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