Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
»in die Hose« gegangen. Um Rio richtig vermarkten zu können, bedurfte es einer Organisationsstruktur, doch in diesem Punkt kam er auch mit George Glueck »herzlich wenig« weiter, der Rio »vehement« von der Schubert-Tour abgeraten hatte und dessen Management-Vertrag ebenfalls auslief. Die Verhandlungen zogen sich hin, und Rio sei total verärgert gewesen, berichtet Jan Bajen, dass der Indigo-Vertrieb, der schließlich vom Erlös seiner Platten gegründet worden sei, ihm nicht nur einen sehr geringen Vorschuss angeboten, sondern auch Demos angefordert habe. Als Pallat sich bei Rio nach seinen Sony-Umsätzen erkundigte, sei er empört gewesen, ergänzt Gert Möbius. Wenn es darum gehe, wie viel er verkauft habe, brauchten sie gar nicht zusammenarbeiten, dann bleibe er lieber bei der Sony, soll Rio gesagt haben.
Von Demos sei »nie im Leben« die Rede gewesen, behauptet dagegen Nikel Pallat, der zwar als Schlitzohr, aber nicht als Halsabschneider in der Branche bekannt ist und mit dem viele Bands und Labels eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht haben. Das sei »völliger Quatsch« und nie und nimmer der Knackpunkt gewesen. Auch nicht bei ihrem letzten Treffen im Juli 1996 im Hotel Hafen Hamburg, in dem er anlässlich eines Auftritts in einer Talkshow abgestiegen war.
Die nächste Tournee, so viel stand fest, sollte jedenfalls der Ex-Terrorist Knut Folkerts organisieren, was Rio als seinen Beitrag zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft verstand. Und in Fresenhagen bereitete er sich auf sein nächstes Album vor. Wenn er sauer auf George Glueck und die Welt war, musste Jan Bajen allerdings immer wieder als Blitzableiter herhalten. Sie hätten sich aber auch gestritten, sagt Bajen, weil es so schön gewesen sei, sich anschließend wieder zu versöhnen.
Rio war frustriert, dass niemand, weder Nikel noch Lanrue, vorbehaltlos an ihn glaubte, und dass alles, was er anpackte, ihm in den Händen zu zerbröseln schien. Sein alter Tourveranstalter hatte ihn oft nach einem Auftritt mit einem Glas Gin empfangen, obwohl er wusste, dass Rio ohnehin sehr viel Alkohol trank – und ihm dann nicht die vereinbarte Gage ausgezahlt. Anfang Juni war sein Vater gestorben. Von seinem alten Freund Lanrue hatte er sich vielleicht ein größeres Engagement für sein avisiertes Album erhofft. Steuerprobleme konnten zwar mit Hilfe von Corny Littmann und dessen Kompagnon Norbert Aust schnell geklärt werden, dafür bekam er aber Probleme mit seiner alten Freundin Ulla Meinecke, weil er ihr auf Grund technischer Probleme nicht rechtzeitig Demos für ein neues Album geschickt hatte. Das Pech schien ihm buchstäblich an den Hacken zu kleben wie einem Fußballer, der das Tor nicht mehr trifft.
Zum Schluss habe ihn »jede berufliche Aktivität, jedes Popel-Interview, jede Talkshow geschlaucht und fertig gemacht«, weiß Hannes Eyber, der ihn vierzehn Tage vor seinem Tod noch einmal besuchte. »Man denkt, da schleicht sich eine Routine ein, er hat sich aber für jede B-Talkshow so verausgabt, dass er sich hinterher ein paar Tage lang ausruhen musste.«
Eyber hatte zwei Tage warten müssen, bis Rio ihn für ein oder zwei Stunden empfing, doch er kam nicht mehr an ihn ran. Rio habe zurückgezogen gelebt, Geldprobleme gehabt und sei von der Sony aufs Abstellgleis geschoben worden. Filmangebote waren von ihm in letzter Minute storniert oder abgesagt worden, immer mit der Begründung, andere hätten das verbockt.
Peter Möbius hat ihn allerdings ganz anders in Erinnerung. Nachdem er in Kassel zu Gast in einer Talkshow des Hessischen Rundfunks gewesen sei, die von Ilja Richter moderiert wurde, habe Rio ihn vom 30. Juli bis 4. August daheim in Unna besucht. So vital wie er dort zu sehen gewesen sei, habe auch er seinen Bruder erlebt.
Schlagzeilen zum Tod von Rio Reiser
34 Ich komm nicht mehr nach Haus
In der Nacht, bevor Rio Reiser starb, spielte Lanrue Billard. Die Freundschaft der »deutschen Glimmer Twins«, wie sie wegen ihrer Parallelen zu den Rolling Stones Mick Jagger und Keith Richards genannt wurden, hatte die Auflösung von Ton Steine Scherben überdauert, auch wenn die beiden Seelenverwandten mittlerweile einem alten Ehepaar glichen, das kaum noch miteinander sprach.
Wenn er für einen Song noch ein Riff oder ein Gitarrensolo brauchte, war Rio stets zu Lanrue rübergegangen und hatte ihn gefragt: »Haste was?« Und der hatte auch immer was gehabt und darüber keine großen Worte verloren. Die Kommunikation zwischen ihnen hatte
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